Freitag, 18. September 2009

Micah P. Hinson, Paris, 17.09.09


Konzert: Micah P. Hinson

Ort: Le Café de la Danse, Paris
Datum: 17.09.2009
Zuschauer: sehr gut gefüllt, also zwischen 400 und 450
Konzertdauer: etwa 75 Minuten



Malcolm oder Micah P.? Von welchem tottraurigen Singer/Songswriter soll ich mich mal so richtig runterziehen lassen? Ich grübele den ganzen Tag darüber, denn ich mag beide sehr gerne. Der Schotte Malcolm Middleton ist in der Maroquinerie angesetzt, der Texaner Micah P. Hinson im Café de la danse. Ich entscheide mich schließlich in letzter Minute für den Ami, weil er seltener in die Stadt der Liebe kommt, um Konzerte zu geben.

Auf meinen Weg in den Club sitze ich in der U-Bahn zwei geschniegelten Jungdynamikern gegenüber. Nadelstreifen, weißes Hemd, Krawatte, so ihre Uniform. Beide sind sie mit einer schwarzen Tasche der Computerfirma Dell unterwegs und checken hektisch ihren Blackberry. So sieht sie also aus, die Elite der Gesellschaft. Aversionen habe ich gegen die Typen nicht, sie stehen unter starkem Druck, müssen viel leisten. Dennoch schlägt mein Herz eher für die Künstler, für die Außenseiter. Diejenigen, die den Mut (oder keine andere Wahl?) haben, gegen den Strom zu schwimmen und versuchen, von ihrem Talent zu leben. Der Texaner Micah P. Hinson ist einer von dieser Gattung. Am Ende seines Konzertes wird er dem Publikum aufrichtig dafür danken, daß es ihm ermöglicht, von seiner Musik zu leben. Es sei hart gewesen, gerade am Anfang, denn niemand habe seine CDs kaufen wollen. Interessanterweise trägt auch Micah P. heute abend ein weißes Hemd und eine rote Krawatte, aber nach strebsamen Jungdynamiker sieht er trotzdem nicht aus. Statt schwarzer italienischer (oder englischer) Maßschuhe zieren recht klobige Turnschuhe seine Füße und auf dem Kopf trägt er zumindest am Anfang einen Strohhut. Ein witziger Look, der ihn jünger macht als sein bretonische Mütze, die er bei seinem letzten Konzert, das ich von ihm in Paris gesehen hatte, trug. Er ist ja auch noch jung, gerade mal 27 Jahre alt! Dabei hat er schon so viel durchgemacht in seinem Leben. Auch hierzu hat er ein Sätzlein parat: Die Journalisten würden ja so viel Blödsinn über ihn schreiben. Das Dumme sei bloß: "Most of the time it's fucking true!" Davon daß er medikamentensüchtig war, deshalb in den Knast kam und auch sonst sein Leben nicht so richtig im Griff hatte, weiß man, wenn man Artikel über ihn gelesen hat. Ob da nicht auch noch Dinge hinzugedichtet wurden, um das Ganze spannender zu machen, weiß ich hingegen nicht. Die Medien lieben nun einmal zerrissene Persönlichkeiten.

Möglicherweise um seinen Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen,
erzählt er ganz offen von seinen Problemen. Ja, er nehme auch heute noch Schmerzmittel, um die Pein, die ihm sein lädierter Rücken bereitet, zu mildern. "The doctors still give me all those fucking shit for my back", sagt er in seiner für ihn typisch direkten Art. Den Begriff "fuck" (oder "fucking") benutzt er recht häufig, aber nie hat man bei ihm den Eindruck, er sage das nur, um cool zu wirken. Uncoolness ist bei ihm Programm, er gibt einen feuchten Kehricht auf Moden. So hat er keine eigene MySpace Seite, sieht man mal davon ab, daß ein paar Fans für ihn schließlich doch ein Profil gebastelt haben, um dass er sich aber nicht persönlich kümmert. Auch seine Musik ist für einen Burschen seines Alters eher unmodern. Folk macht er, manchmal sogar Country bzw. Americana. Altherrenmusik. Aber auch damit kann er leben und verunglimpft sein Genre irgendwann auch noch verbal: "All those fucking country songs!"

Dem lieben Gott (an den seinen Eltern, fundamentale Christen, streng glauben) sei Dank, daß er sich für dieses scheinbar altbackene Musikgenre entschieden hat. Seine rauchige, whiskeygetränkte Stimme ist nämlich wie geschaffen, um betörende Countrymusik zu machen. Wenn er mit dieser so richtig loslegt, bleibt im wahrsten Sinne des Wortes kein Auge trocken! Dann greint er, keift und brüllt und trifft dabei nicht immer alle Töne. Er habe überhaupt gar kein Talent hatte er damals in der Flèche d'or hierzu gesagt. Aber stimmt das denn? Ich finde nicht, ganz im Gegenteil! Musik ist keine Mathematik, es geht nicht darum, Lieder möglichst logisch und perfekt aufzubauen und dementsprechend zu vertonen. Oft zählt die Leidenschaft. Und davon hat Micah P. so viel zu bieten, wie kaum ein zweiter. Manchmal ist es richtiggehend hart, ihm zuzusehen, weil man merkt, wie es in ihm kocht und arbeitet, wenn er seine Songs öffentlich vorträgt. Das geht mehr als Nahe, der Kloß im Hals könnte nicht größer sein. Alles ist so authentisch und aus dem (seinem ) Leben gegriffen. Da geht es zum Beispiel in einem Stück um einen Freund, der kokainabhängig war und schließlich daran gestorben ist. Dieses Lied sei gemein seinem Freund gegenüber, aber "manchmal müsse man halt eben gemein sein", fügt er lapidar hinzu. Dann wieder spricht er über das Verhältnis zu seinem Vater, das nie gut gewesen sei, sich aber in den letzten zwei Jahren deutlich gebessert hätte. Sie seien jetzt so etwas wie Freunde und man fühlt, wie ihn diese Sache bewegt. Er kotzt sich also so richtig aus, der gute Micah und das macht ihn so sympathisch, weil er zudem nie schwülstig wird, oder Mitgefühl erregen will. Er ist einfach so wie er ist, ein Chaot vielleicht, so what?

Auch bei seiner Setlist gibt er sich reichlich Mühe. Bei so einigen Titeln erwähnt er, daß er sie ansonsten selten performe. At Last, Our Promises z.b., das (genau wie Benath The Rose, das er auch, allerdings häufiger, spielt) von seinem Album Micah P.Hinson And The Gospel Of Progress stammt und in dem er textlich zugibt: "It's all my fault!" Überhaupt ist auffällig, daß er Lieder von all seinen Alben bringt, auch von From The Baby and The Satellite , von Micah P. Hinson And The Opera Circuit (Seems Almost Impossible) und Micah P.Hinson and The Red Empire ( I Keep Havin' These Dreams). Noch spannender ist aber, daß er ein paar Kostpoben seines in Kürze erscheinenden Doppelalbums mit Coverversionen abgibt. All Dressed Up And Smelling Of Strangers wird es heißen und davon spielt er Are You Lonesome von Elvis Presley (" I fucking love Elvis!, der arme Kerl ist an den blöden Medikamenten gestorben"), Suzanne von Leonard Cohen und als allerletztes Lied des Abends die einzige Zugabe This Old Guitar von John Denver. Witzig auch hier sein Statement: "Eigentlich wollte ich nie im Leben ein Album mit Covern machen und nun ist seltsamerweise auch noch ein Doppelalbum daraus geworden." An einer anderen Stelle erwähnt er aber, daß dieses am 25 September in den Handel kommende Werk nur ein Durchgangsstadium zu seinem neuen, für 2010 geplanten, Opus sei. Und davon gönnt er uns einen ganz fabelhaften Song. Ich glaube er hieß Goddamn Myself (irgendetwas mit myself auf jeden Fall) und der packt mich auf Anhieb! Ach, ich untertreibe, er haut mich regelrecht um!

Was für ein ergreifendes Konzert! Ein Lied (The Day Texas Sank To The Bottom Of The Sea) wurde sogar einer Französin im Publikum gewidmet, die er irgendwann einmal kennengelernt hat. Welch nette Geste!

Es kann gar nicht genug traurige Singer/Songwriter auf der Welt geben, egal ob sie Malcolm oder Micah. P, heißen (und ironischerweise mit Full Time Hobby noch das gleiche Label haben). Ihr Lieder spenden nämlich Trost, so unendlich viel Trost ...


Aus unserem Archiv:

Micah P. Hinson in der Pariser Flèche d'or am 28.04.2008 hier

Noch eine Ergänzung:

Das Vorprogramm bestritt die junge Amerikanerin Bosque Brown, die bei dem vorzüglichen Pariser Folklabel Fargo unter Vertrag steht. Aufgrund meines langen Zödern und Zauderns habe ich sie aber verpasst. Reinhören in ihre minimalistischen Songs lohnt sich auf alle Fälle! Und wer feine Livevideos von diesem Konzert sehen möchte, begebe sich auf die Seite von le-hiboo, hier.



3 Kommentare :

E. hat gesagt…

feiner bericht über the new elvis costello. ich hätte mich allerdings für malcolm entschieden, vermutlich dann aber falsch.

E. hat gesagt…

ähm, was ist eigentlich mit dem publikum? sitzt es tatsächlich am boden? eine unart, die auch hier teilweise um sich greift. ganz erschrocken schauen diese mitmenschen, wenn man sich vor sie stellt, um platz zurück zu gewinnen. ich bin ein eroberer! und kämpfe für ausreichend (steh-) platz für alle!

Oliver Peel hat gesagt…

Malcolm wäre sicherlich auch eine sehr gute Wahl gewesen.

Zu den Sitzblockierern im Café de la danse habe ich im Rahmen meines Berichts über Anna Ternheim sehr deutlich Stellung bezogen:

http://meinzuhausemeinblog.blogspot.com/2009/04/anna-ternheim-paris-290409.html

 

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