Mittwoch, 29. Oktober 2008

Mogwai, Paris, 28.10.08


Konzert: Mogwai (The Twilight Sad)

Ort: Casino de Paris
Datum: 28.10.2008
Zuschauer: sehr gute Auslastung
Konzertdauer: satte 106 Minuten (The Twilight Sad mickrige 28 Minuten)



Puh! Das heutige Konzert ist für mich verdammt schwierig zu beurteilen! Auch ein paar Stunden später bin ich noch hin-und hergerissen. War das jetzt famos und überaus dramatisch oder mittelmäßig und eher langweilig? Nun, eigentlich beides, denn es gab unglaublich wuchtige, hochdynamische Passagen (vor allem mit Bat Cat ganz zum Schluß, ein Hammer!), aber auch sehr langatmige und zähe Strecken.

Leichter zu beurteilen ist die Frage, ob Mogwai zu Rockstars taugen. Denn das ist mit einem klaren "nein" zu beantworten! Uncharismatischer kann man wohl kaum sein, als diese bieder aussehenden schottischen Postrocker. Wobei sich dann widerum die nächste Frage aufdrängt: Ist das nicht eigentlich schon wieder sehr sympathisch? Keine großen Posen, keiner drängt sich in den Mittelpunkt (im wahrsten Sinne des Wortes, alle Bandmitglieder waren außen oder hinten platziert), ist doch toll und allemal besser als selbstverliebte Frontleute wie Johnny Borrell oder Pete Doherty, oder etwa nicht? Hmm, ich weiß es nicht so genau...

Ich muss einfach mal darüber schlafen.

So, inzwischen habe ich eine Nacht darüber geschlafen und rolle das Geschehen des gestrigen Tages am besten noch einmal von vorne auf.

Der Abend begann gut. Eine junge Frau in der Metro hatte nämlich mein Joy Division T-Shirt entdeckt, daß Ian Curtis in einer typisch besessenen Pose zeigt und anerkennend ihren Daumen in die Höhe gehoben, so als wolle sie mir sagen: "Hey, Du musst ja ein toller Typ sein, wenn Du Joy Divison magst, gratuliere!" Sie stieg vor mir aus und wünschte mir noch einen schönen Abend. Da sage noch jemand, man müsse sich unbedingt einen Hund anschaffen, um mit Frauen ins Gespräch zu kommen!...

Mein T-Shirt hatte ich taktisch gewählt. Nach einer alten Regel, die besagt, daß das Publikum immer so aussieht wie die Band klingt, bin ich davon augegangen, daß die Besucher überwiegend in schwarz erscheinen würden. Ich lag genau richtig und witzigerweise trug nicht nur eine Frau im Publikum eine schwarze Militärkappe, sondern auch James Graham, der Sänger der schottischen Vorgruppe The Twilight Sad. An seinen Posen war ganz klar zu erkennen, daß er selbst riesiger Joy Division - Fan ist, denn die gesamte Mimik und Gestik erinnerte extrem stark an Ian Curtis. Auch die Musik war hochmelancholisch und dark, allerdings doch ein wenig gezuckerter und optimistischer als der Sound seiner und meiner Helden. The Twilight Sad hatte ich Ende letzten Jahres im Vorprogramm von Scout Niblett für mich entdeckt. Ihr Stil traf genau meinen Nerv, melodisch-melancholischer Dark-Rock mit starkem schottischem Akzent à la Malcolm Middleton, toll so etwas!

Was ich allerdings vom damaligen Konzert nicht mehr so richtig in Erinnerung hatte, war die unglaubliche Lautstärke der Schotten. Sänger James schmiss sich schon beim ersten Lied auf die Knie und kauerte dem Publikum den Rücken zugewandt vor seinem Drummer, der auf sein Instrument einprügelte wie ein Gestörter. Meine Ohren bekamen sofort mächtig etwas ab und ich fürchtete um mein Gehör. Das Problem war, daß ich keine Ohrenstöpsel dabei hatte. Und das bei einem Konzert von The Twilight Sad und Mogwai! Au Backe!

Benommen von dem (melodischen) Lärm, den tollen Liedern und der imposanten Mimik von James Graham, wurde ich in eine Art Parallelzustand versetzt. Bei den anderen Zuschauern zog das Ganze scheinbar etwas weniger. Die meisten standen nur rum und glotzten regungslos auf die Bühne. Wahrscheinlich kannten sie weder das Album Fourteen Autumns & Fourteen Winters (Ende 2007 bei Fat Cat erschienen), noch die im June 2008 veröffentlichte EP Here, It Never Snowed. Afterwards It Did. Schade, denn diese beiden Werke stecken voller sphärischer Perlen, von denen allerdings nur gerade einmal sechs an der Zahl dem Publikum serviert wurden. Der erste kleine Hit der Gruppe, That Summer, At Home I Had Become The Invisible Boy war dabei und ich glaube auch Mapped By What Surrounded Them. Besonders toll fand ich aber den Opener des Albums, Cold Days From The Birdhouse, weil dort der Sänger so richtig aus sich rausging und schrie wie ein Besessener. Klasse auch der Aufbau des Songs. Zunächst ist der Gesang fast a-capella und es gibt nur ein paar sphärische Gitaren und etwas Keyboard, bevor das Schlagzeug einsetzt und einem eine regelrechte Noise-Keule im Stile von My Bloody Valentine in die Fresse geballert wird.

"Thanks forr coming out so errly (ich versuche hier gerade den starken schottischen Akzent nachzumachen), it's a pläsure to play in Paaris again. And wee ple wis Mogwai, that's one of our feverite bands", sprach James irgendwann und das Vergnügen lag ganz auf meiner Seite, denn The Twilight Sad gehören auch zu meinen "Favorite Bands", ich finde die ganz großartig!

Dann wurde umgebaut, Setlisten am Boden befestigt und - was besonders witzig war - für jeden Musiker von Mogwai Dosenbier platziert und sofort geöffnet, um ihnen diesen Handgriff später zu ersparen. Dosenbier passt natürlich zu Fußball wie die Faust aufs Auge und aus ihrer Begeisterung für Fußball machen Mogwai kein Geheimnis. So hing an dem Drumset von Schlagzeuger Martin Bulloch wie immer ein grün-weißer Schaal, den Farben von Celtic Glasgow. Auch Aufkleber mit der schottischen Flagge auf den Marschall-Boxen waren zu sehen. Fußball, Dosenbier, Schottland, Rockmusik: Mogwai lieben es volksnah und bodenständig, da wird kein Arbeiterklischee ausgelassen. Aber da fehlt doch noch etwas? Richtig, die Weiber! Dass die raubeinigen Typen auf der Bühne auch auf freizügig bekleidete Miezen stehen, unterstrich der links postierte Bassist (bei Wikipedia als Gitarrist beschrieben, aber das Teil hatte wirklich nur vier Saiten, man kann nachzählen!) John Cummings durch einen riesigen Aufkleber mit einem fast nackten Playgirl auf seinem Arbeitsgerät.

Wer jetzt aber glaubt, die fünf Bauernlümmel da vorne würden grobschlächtige Musik machen, wie man das nach den ganzen Klischees und auch aufgrund des Äußeren der Bandmitglieder erwarten könnte (Chef Mogwai Stuart Braithwaite hat die Ausstrahlung eines ehemaligen DDR-Grenzbeamten!), irrt sich.

Vielschichtige und hochkomplexe Lieder ziehen die Schotten nämlich hoch und über den Kontrast zwischen laut und leise und langsam und schnell in ihrer Musik ist schon viel geschrieben worden. Da will ich dann auch gar nicht mehr ansetzen, denn jeder, der sich schon einmal mit Mogwai beschäftigt hat, weiß, daß auf lange, ja langatmige ruhige Phasen, in schöner Regelmäßigkeit spontane Lautstärke -und Tempowechsel folgen, die einen unwirsch aus dem Halbschlaf wecken, in den man zuvor verfallen ist.

Der Beginn des Konzerts dann ist wenig spektakulär, die ersten vier Lieder plätschern ein wenig vor sich hin, ohne daß es im Publikum zu großen Regungen kommt. Die meisten Leute bewegen sich ohnehin keinen Schritt, sondern nicken nur teils energisch mit dem Kopf, wie das bei Postrock-Konzerten so üblich ist. Wahrscheinlich könnte jemand bei "Wetten ,Daß?" auftreten und die entsprechenden Bands an dieser Nickbewegung erkennen. Ob man diesbezüglich Unterschiede zwischen Mogwai, Explosions In The Sky, A Silver Mount Zion, oder 65 Days Of Static erkennen könnte?...

Auch auf der Bühne passiert nicht viel. Die eigentlich noch recht jungen Schotten (im Schnitt ca. 32 Jahre alt), sehen mit ihrem schütternen Haar und ihren kleinen Bierplautzen schon aus wie über 40 und bewegen sich auch so. Mit Sicherheit sind das die nettesten, natürlichsten und unkompliziertesten Typen, die man sich überhaupt vorstellen kann, aber ihr Mangel an Charisma irritiert mich doch ein wenig. Und warum steht bei Mogwai eigentlich keiner in der Mitte? Jede Fußballmannschaft hat doch Mittelfeldspieler und Stürmer und nicht nur Verteidiger und Ausputzer, warum ist das bei den Fußballnarren aus Glasgow anders? Irgendwie fehlt hier ein brillianter Individualist neben diesen ganzen Teamplayern, die mannschaftsdienlich spielen. Jemand, der die Tore macht. Ein Sänger um es auf den Punkt zu bringen. Oder eigentlich gerade nicht? Macht nicht der fehlende Gesang gerade erst den Reiz und die Dramatik der Kompositionen von Mogwai aus? Eingefleischte Fans der Band werden mit Sicherheit sagen, daß man sich die Texte im Kopf selbst ausdenken und seine eigene Phantasie bemühen soll. Also schließe ich die Augen und versuche als Reaktion auf die Musik, Bilder im Kopfe enstehen zu lassen. Das gelingt mir nicht so richtig, weil mir zu heiß ist und die Füße schmerzen. Deshalb beobachte ich lieber eine blauäugige Schönheit links neben mir. Die Süße hat glasklare Augen, wie ein Husky. Sie wippt energisch zu den Rhythmen mit, die gespielt werden. Das gefällt mir und ist fürs Auge allemal attraktiver als die Burschen von Mogwai anzuklotzen. Auf der Bühne geht eh nichts ab, die Glasgower könnten auch hinter einem Vorhang spielen. Die einzige Abwechslung bietet ein Laptop, auf dem Bilder von Fußballmatches von Celtic Glasgow zu sehen sind, was auch sonst! Mit Friend Of The Night vom Vorgängeralbum Mr. Beast kommt aber endlich etwas mehr Beweging ins Publikum rein. Ein melodisches, ein schönes Stück! Auch der Liveklassiker Hunted By A Freak wird sehr gut aufgenommen. Hierzu setzt sich Gitarrist Barry Burns hinter das Piano und bedient sich eines sogenannten Vocoders, der seine Stimme verzerrt. Es wird neben einem anderen Song auf dem Stuart Braithwaite Worte ins Mikro flüstert, das einzige Lied bleiben, indem so etwas ähnliches wie Gesang zu hören ist. Auf dem aktuellen Album The Hawk Is Howling findet man nichts dergleichen, alles ist instrumental gehalten. Eines der Highlights von diesem Werk kommt in der Form von I Love You I'm Going To Blow Up Your School. Zunächst verhalten startend, verdichtet sich der Titel zu einem komplexen Schocker, der irgendwann explodiert. Noch genialer sind aber die Zugaben. Bei Like Herod wird über etliche Minuten hinweg eine irre Spannung aufgebaut, die sich in einem dramtischen Finale entlädt. Allein dafür hat sich letztlich die Eintrittskarte gelohnt, mangelndes körperliches Engagement der Musiker hin oder her! Absoluter Hammer ist aber der Schlusstrack Bat Cat! Das ist fast schon instrumentaler Heavy Metal, aber ohne die fiesen langen Haare und die banalen Riffs. Ein Meisterwerk allererster Güte, der mich versöhnlich stimmt und dafür sorgt, daß ich das Konzert insgesamt als gelungen bezeichnen kann. Und irgendwie geht eine seltsame Faszination von Mogwai aus, die sich schwerlich in Worte fassen lässt. Gut möglich, daß man in 10 oder 20 Jahren rückblickend von einer der besten Bands der Musikgeschichte sprechen wird, denn die Lieder sind so komplex und vielschichtig, daß man bei jedem neuen Hördurchgang neue interessante Facetten erkennen kann. Ich bleibe am Ball, wie man beim Fußball sagt, denn Mogwai sind letztlich...geil!

Links:

- Mehr Fotos von The Twilight Sad hier
- Videoclip That Summer, At Home I Had Become The Invisible Boy
- Video And She Would Darken The Memory live
- Cold Days From The Birdhouse live
- mehr Photos von Mogwai hier

Setlist Mogwai, Casino de Paris, Paris:

01: Yes! I Am A Long Way From Home
02: The Precipice
03: XMas Steps
04: Scotland's Shame
05: Friend Of The Night
06: Hunted By A Freak
07: I'm Jim Morrisson, I'm Dead
08: Thank You Space Expert
09: Secret Pint
10: I Love You, I'm Going To Blow Up Your School
11: Two Rights Make One Wrong
12: Helicon 1

13: Like Herod
14: Bat Cat




4 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Oliver, nichts für ungut, aber der schottische Fussball kennt tradtitionell keine grossen Individualisten, sondern nur 6er, die Abräumer vor der Abwehr,die Grassfresser und Dauerkämpfer. Von daher sind Mogwai sehr schottischer Fussball.
Und in Köln hat der Kollege "Ex-DDR-Grenzbeamte" Rotwein getrunken, was mich doch sehr überrascht hat.

Oliver Peel hat gesagt…

Rotwein, haha, köstlich! Ausgerechnet in Köln und nicht in Paris! Zugegebenerweise hat auch der Bursche mit dem Playgirl-Aufkleber abwechselnd aus einer großen Tasse (Tee?) und der Bierdose getrunken.

Und der schottische Fußball kennt, wie Du schon richtig sagst, keine großen Individualisten, , aber Mogwai selbst schätzen solche Spielerpersönlichkeiten anscheinend doch sehr. Der Soundtrack über Zidane scheint mir da ein sehr gutes Beispiel zu sein!

Christoph hat gesagt…

Wenn sie Rangers-Fans wären, würde ich sie nicht mögen.

Anonym hat gesagt…

...leider denke ich, dass mogwai mittlerweile über ihren zenith sind... so wie tool, sigur rós und weitere...

 

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