Konzert: Slint, "Performing Spiderland"
Datum: 24.05.2007
Ort: Le Bataclan, Paris
Zuschauer: die Stehränge waren gefüllt, die Sitzplätze oben waren allerdings leer
An einem brütend heißen Tag war meine Motivation zugegebenermaßen nicht besonders hoch, ein Konzert in einem dunklen und stickigen Konzertsaal zu sehen. Hinzu kam noch, daß mit Slint, die ihr legendäres Album "Spiderland" performen würden, eine äußerst schwarze und depressive Gruppe auf dem Programm stand. Zur Vorbereitung auf den Gig hörte ich im Laufe des Tages mehrfach das Album, hatte aber oft Lust, die Musik zu wechseln...
Der strahlende Sonnenschein passte irgendwie nicht zu diesem gruseligen schwarzen Monster "Spiderland". Vielmehr wären heute eher die Shins der richtige Soundtrack zur Untermalung des Tages gewesen. Fast etwas widerwillig betrat ich dann äußerst frühzeitig die "Dunkelkammer" Bataclan, obwohl mir der Sinn eher nach einem Grillabend stand (obwohl man in Frankreich nicht grillt, das überlässt man den Teutonen...).
Bekleidet war ich - wie sich herausstellen sollte - genau passend, nämlich von Kopf bis Fuß in schwarz! Schwarzes Shirt, Hose, Schuhe, Uhr, Militärkappe. Die anderen Leute im Bataclan sahen genauso aus, bloß, daß sie teilweise noch tätowiert waren, oder Ziegenbärte wie Nick Oliveri oder Ralf Zacher trugen. Auffallend war, daß sich kaum eine Frau hierhin verlaufen hatte, Slint scheint wirklich was für harte Männer zu sein. So, wie ich also ;-) Ich muß wirklich einen grimmigen Eindruck hinterlassen haben, denn ein paar Franzosen fragten mich allen Ernstes, ob ich von der Security sei. So etwas ist mir noch nie passiert, bei meiner geringen Größe von 1,75 cm ja auch verständlich. Wahrscheinlich spielten sie auf meine breiten Schultern an, hoffe ich zumindest, wenn es auf den Bauchansatz bezogen war, wäre es weniger schmeichelhaft gewesen...
Wie auch immer, da stand ich nun, eigentlich ein zahmes Lamm, zwischen allerlei finsteren Zeitgenossen und passte auf, daß ich dem Kleiderschrank mit dem roten Ziegenbart neben mir nicht beim Photographieren ausversehen auf die Füße trat. Die Vorgruppe, die ich noch fast komplett mitbekam, war dann zum Glück die frühe Ankunft wert. Die dreiköpfige Band namens Warehouse 99 Project spielte harten, straighten (Post)-Rock, im Stile von Bands wie Sonic Youth oder Tortoise, stimmlich manchmal auch wie The Fall. Überflüssig zu erwähnen, daß die Band natürlich komplett in schwarz gekleidet war. Der Sänger nörgelte und schrie also wie ein junger Mark. E. "The Fall" Smith in sein Mikro und eine flotte Bassistin spielte so allerlei schön-gemeine Bassläufe. Inzwischen hatte ich mich auch akklimatisiert und genoß das Set, auch wenn die Temperaturen in dem Saal tropisch waren. Das Trio gefiel mir so gut, daß ich ihnen ihre CD "Social Leper's Club" abkaufte.
Die harten, depressiven Klänge von Warehouse waren dann auch die richtige Einstimmung auf die Kultband Slint. Der im Foyer ausliegende Flyer bot ein paar interessante Informationen zu der Bandgeschichte und dem Album "Spiderland". Da hieß es u.a.: "In 1990, Slint recorded the landmark 'Spiderland' album in Chicago with Brian Paulson both engineering and mixing. This release, in particular, became an independent music touchstone, loved and admired by hundreds of thousands of fans and emulated by a generation of musicans. The following year, the year in which 'Spiderland' was issued by Touch and Go, Slint broke up. For almost fourteen years, the members did not perform together as Slint."
Verblüffend, oder? Da legt die Band mit ihrem zweiten Album (das Debüt hieß "Tweez") ein Meisterwerk vor und dann trennen die sich auf der Höhe ihres Erfolges... Wenn ihr richtig nachgerechnet habt, wird Euch aufgefallen sein, daß sie schon vor 2007 mal wieder aufgetreten sind und zwar 2005. 2007 touren sie aber ausgiebiger durch einige Städte dieser Welt, ihr altes Album im Gepäck.
Los ging es mit "Breadcrumb Trail", logisch, ist ja schließlich der Opener des heute zu performenden Albums. Schon an den ersten Gitarrenriffs (dieses "bling-bling-bling") wurde das Stück erkannt. Zufällig hatte sich heute keiner hierhin verlaufen, das war klar. Sofort wurde der Saal in eine gruselige, mystische Atmosphäre getaucht, die man als eiskalt und abweisend beschreiben könnte, wäre es nicht so affenheiß gewesen...
Sänger Brian McMahan brummelte mir den Rücken zugewandt, seine Textzeilen ins Mikro. Die Luft war zum Schneiden, was nicht nur an den Temperaturen lag. Bei "Nosferatu Man" wurde die schleppende und schwüle Musik zum ersten Mal massiv beschleunigt, zumindest phasenweise. Schreie mischten sich in den Sprechgesang, die Gitarren und das Schlagzeug explodierten, das Tempo wurde peu a peu höllisch erhöht. Ich sah mich um und erblickte Männer mittleren Alters energisch mit den Köpfchen wippen. Da kam mir folgendes in den Sinn:vielleicht sollte ich mal eine Wette bei Thomas Gottschalk einreichen. "Oliver Peel wettet, daß er zwanzig Musikgruppen an der Körpersprache ihrer Fans erkennen kann." Werden die Häupter geschüttelt, muß es sich zumindest um eine Post-Rock Band handeln. Schwierig wird es nur bei den Shins. Wahrscheinlich bietet ein andächtig-schmachtender Blick einer blonden Frau Anhaltspunkte für die Lösung...
Während die Typen im Publikum da so Köpfchen-Schüttel-Dich spielten, verließ ich meinen Platz in der ersten Reihe kurzfristig, da ich Angst hatte, mein Gehör zu verlieren, als beim Stück "Don, Aman" nach 4 1/2 eher schleppenden Minuten die Gitarren lospolterten, als würde hier Metallica spielen. Oder Venom... Kennt die noch jemand? Waren mal berühmt-berüchtigt als lauteste Band der Musikgeschichte. Eben von jener Band trug Bassist David Pajo, der in den letzten Jahren auch (sehr ruhige) Soloplatten veröffentlicht hat, amüsanterweise ein T-Shirt.
Von der Bar aus betrachtete ich in der Folge die Performance des Stücks "Washer", bei dem zwei Bandmitglieder, unter ihnen Brian McMahan, eng zusammenkauerten. "Don't be afraid when it's dark outside", heißt es da unter anderem. Wenn man das Lied so hört könnte man allerdings zu Recht Angstzustände bekommen, dermaßen gespenstisch ist die Stimmung dieser Gruselnummer.
Als "Good Morning, Captain"einige Zeit später verklungen war, fragte ich mich, ob es noch weiterginge, schließlich waren alle Lieder von dem Album "Spiderland" gespielt worden.
Es ging weiter und zwar nahtlos, die Band hatte wohl keinen Bock effektheischend die Bühne zu verlassen, nur um kurze Zeit später wieder aufzutauchen. Gespielt wurden noch "Glenn", "Rhoda" und "Kings Approach", das Tempo wurde noch einmal angezogen, schleppende Passagen kamen in diesem Teil seltener vor. Auch ohne diese drei Bonus-Titel wäre das Konzert schon mystisch-schön gewesen. So wurde der "Albtraum", in den man sich bei Slint freiwillig fallen läßt, noch etwas verlängert.
Auch ich halte Spiderland spätestens jetzt für ein bahnbrechendes, komplexes Meisterwerk der düsteren Sorte. Und das Ganze in Konzertform geboten bekommen zu haben, war schon etwas Besonderes.
Slint "Performing Spiderland" auch noch in folgenden Städten:
28. Mai, Bologna, Italien
29. Mai, Rom, Italien
31. Mai, Barcelona, Spanien, Primavera Festival
Setlist Slint:
01: Breadcrumb Trail
02: Nosferatu Man
03: Don, Aman
04: Washer
05: For Dinner
06: Good Morning, Captain
07: Glenn
08: Rhoda
09: Kings Approach
von Oliver
von Oliver
3 Kommentare :
Ich widerspreche! Es gibt auch Mädchen, die Slint mögen ;-) Gestern abend habe ich noch Nosferatu Man gehört und gedacht, dass ich dich sehr beneide! Ich glaube, da hätte ich viel Spaß gehabt, so wie du das Publikum beschreibst. Schade, dass sie nicht nach Deutschland (oder ins nahegelegene Grenzland) kommen auf dieser Tour.
Ein Mädchen, das Slint mag, cool!
Im nahe gelegenen Grezland waren sie vor Paris, schließlich ist Brüssel ja nicht so weit von Aachen entfernt (in Brüssel waren Slint am 23.Mai)..
Und am 21. Mai haben sie in Amsterdam gespielt.
Aber sei doch einfach ein bißchen verrückt, Christina und fahre nach Bercelona zum Primavera, ist ganz hervorragend besetzt :)
Okay, ich nehme das mit dem Grenzland wieder zurück...und ersetze es durch Grenzland am Wochenende ;-)
Zum Primavera würde ich übrigens gerne mal (hatte auch letztes Jahr darüber nachgedacht). Hab mich aber noch nicht getraut...naja, es gibt ja ein bis zwei Überschneidungen zum Immergut ;-)
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