Mittwoch, 21. März 2007

Arcade Fire, Paris, 20.03.07

Konzert: Arcade Fire
Ort: L'Olympia, Paris
Datum: 20.03.2007
Zuschauer: ausverkauft

Wenn Ohren einen Orgasmus bekommen könnten, dann hätten sie am heutigen Abend wohl multiple Höhepunkte erlebt! Aber der Reihe nach...

Wir schreiben den 20.03. 2007. Dieser Tag wird für mich als ein historisches Ereignis in die Musikgeschichte eingehen. Denn - ich darf es vorwegnehmen - ich habe heute mein bisher großartigstes Konzert erlebt. Dazu muß man wissen, daß ich in den letzten zwei Jahren mindestens 250 Konzerte gesehen habe, darunter Auftritte solcher Live-Ikonen wie Morrissey, Gang of four, The White Stripes, Interpol, The Hives, Kaiser Chiefs, Bloc Party, Oasis, Queens of the Stone Age, Nine Inch Nails, Sigur Ros, Art Brut, Editors, Babyshambles, Dirty Pretty Things etc.

Nichts, aber auch wirklich gar nichts, reichte nur annähernd an den Auftritt der Kanadier heran.

Für einige im Publikum war aber eventuell bereits der 19.03.2007 ihr Glückstag, denn The Arcade Fire traten zweimal hintereinander im altehrwürdigen Olympia in Paris auf.

Vor dem Ohren- und Augenschmauß war aber zunächst einmal etwas Geduld gefragt, denn es galt, sich an den zahlreichen Schwarzhändlern vorbeizuschlängeln, die bis zu 100 Euro für die Schwarzmarktkarten verlangten (und sicherlich auch oft bekamen), um sich den Weg hinein ins Vergnügen zu bahnen. Im Aufenthaltsbereich vor dem eigentlichen Eingang herrschte Hochbetrieb, etliche Leute nutzten die Gelegenheit, sich vor dem großen Event noch mit Bier oder Cola zu stärken.

Zu diesem Zeitpunkt (kurz vor neun) hatten bereits die aufstrebenden Kanadier von Malajube ihren Auftritt absolviert. Diesen hatte ich leider verpasst, werde das aber nach Möglichkeit nachholen.

Kurze Zeit später ging dann im Saal das Licht aus und die vier Mädels von Electrelane aus England betraten die Bühne. Von der "Girlgroup" besitze ich zwei alte Alben "Axes" und "Power out", habe die Britinnen in letzter Zeit aber ungerechtfertigterweise etwas vernachlässigt. Heute wurde mir bewußt, wie gut die nämlich eigentlich sind! Es ging gleich los mit "Bells", einem Song, der auch als Single ausgekoppelt wurde und mir gut bekannt ist. Auf dem Lied singen die Girls sogar, ich sage bewußt sogar, weil das bei vielen Albumtiteln nicht der Fall ist, sondern instrumentale Lieder im Stile von Mogwai (oder Contriva?) dominieren. Wie bei Mogwai wird herrlich Tempo und Lautstärke gewechselt, so daß man nie im voraus weiß, was kommt.

Interessanterweise spielten Electrelane heute viele Lieder entgegen ihrer Gewohnheiten mit Gesang. Und das tat dem Set, das auch die neue Single des bald erscheinenden Albums beinhaltete, sehr gut. Es spricht für den guten Geschmack von Arcade Fire das weibliche Quartett als Vorgruppe ausgewählt zu haben!

Die Umbauphase danach war dann etwas lang, vor allem weil es aufgrund der Menschenmassen sehr eng und heiß war, aber das mußte man halt eben in Kauf nehmen, wenn man das Musikereignis des Jahres miterleben wollte. Für etwas Kurzweil sorgte der Blick auf die Bühne, wo ich einen silber eingefärbten Kontrabass und eine Kirchenorgel (!) ausfindig machen konnte.

Gegen 22 Uhr war es aber endlich soweit. Das Licht wurde runtergedimmt und das Publikum verfolgte zunächst gebannt ein Video, welches man auf verschiedenen runden Leinwänden sehen konnte, in dem ein kleines Mädchen eine feurige Rede vor einer riesigen Versammlung hielt. Das war schon einmal ziemlich abgefahren, aber es sollte noch besser werden...

In die Videoberieselung hinein trat dann eine zehnköpfige Band auf die Bühne, angeführt von Win Butler und der bezaubernden Régine Chassagne.

Los ging es mit "Keep the car running" der aktuellen Uk-Singleauskopplung. Sofort war mir klar, daß das heute ein epochales Ereignis würde. Das lag an vielen Faktoren. Die Bühnendekoration war z.B. extrem schön, mit der aufgeschlagenen rotleuchtenden (Neon)-Bibel und den Videoanimationen, die Vielfalt an eingesetzten Instrumenten (u.a. eine Kirchenorgel, Megaphone, Akkordeon, Kontrabass, Streicher, Tubabläser, etc.) suchte ihresgleichen und das schwarze Kleid von Sängerin Régine Chassagne war einfach entzückend. Alles entscheidend für den überragenden Eindruck war aber die Originalität und Wucht der Musik. Die Bretter des Olympia bebten von Beginn an, als die Leute tanzten, soweit das in der Enge möglich war.

Man muß schon etliche sensationelle Songs im Repertoire haben, wenn man einen Knüller wie "No cars go" an zweiter Stelle bringt. Was für eine Hymne, in der für das neue Album überarbeiteten Fassung nochmal besser als auf der Debüt-EP. Schon zu diesem Zeitpunkt wußte ich nicht, wie man das toppen sollte. Aber es ging! Arcade Fire können das! Zuächst fuhren sie aber das Tempo etwas runter und spielten das eher langsame "Haiti".

Dieser Song hat vor allem inhaltlichen Bezug zur Biographie von Régine, denn die verließ in den 60er Jahren zusammen mit ihren Eltern das dortige Regime, um zuerst nach Chicago, dann nach Montreal überzusiedeln, wo sie auch aufwuchs. Logischerweise spricht sie deshalb auch französisch, wenn auch mit einem Quebequer Akzent. Besonders verzückt war das heimische Publikum von der rein französischen Nummer "Je suis une poupée", die Nationalheiligtum Serge Gainsbourg für France Gall geschrieben hat. France Gall hat damit sogar am Grand Prix teilgenommen!

Zuvor hatte Win mit "Black Mirror" und "Laika" mächtig eingeheizt, zwei der zahlreichen Höhepunkte des Sets. Überhaupt fällt es mir schwer, Highlights zu benennen, denn es strotzte nur so vor Hits. Besonders hervorheben kann man vielleicht noch "My body is cage", bei dem Win Butler zum ersten Mal hinter die Kanzel vor der Kirchenorgel trat, oder "Wake up", welches unplugged dargeboten wurde, weil Drummer Jeremy Gara unter Sauerstoffmangel litt und kurzfristig die Bühne verlassen mußte. Aber Arcade Fire können sowas kompensieren, denn Régine spielt neben zahlreichen anderen Instrumenten ja auch Schlagzeug!

Régine war es dann auch, die als letzte auf die Kanzel durfte, bei der ersten Zugabe nämlich, dem alles überragenden "Intervention". Alles überragend? Moment, da kam doch noch was.... Richtig, "Rebellion (Lies)" durfte natürlich nicht fehlen. Dieses allerletzte Stück drückte dem Konzert nochmal so richtig seinen Stempel auf! Das gesamte Olympia summte noch minutenlang den Refrain mit, selbst als die Band schon unter frenetischstem Applaus die Bühne verlassen hatte. Viele Leute warteten dann noch sehr lange auf eine weitere Zugabe, die aber nicht mehr kam.

Man soll halt eben aufhören, wenn es am schönsten ist...

Setlist The Arcade Fire, Olympia Paris, 20.03.2007

01: Keep the car running
02: No cars go
03: Haiti
04: Black Mirror
05: Neighborhood #2 (Laika)
06: Je suis une poupée (S. Gainsbourg)
07: Black Wave/Bad Vibrations
08: My body is a cage
09: Ocean of noise
10: Neighborhood # 1 (Tunnels)
11: The Well and the lighthouse
12: Crown of love
13: Wake up (unplugged)

14: Intervention (Z)
15: Windowsill (Z)
16: Rebellion (Lies) (Z)

von Oliver





9 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Wow! Das klingt ja wirklich überwältigend! Und sie gehen wirklich mit der Orgel auf Tour? Meine Vorfreude wächst und wächst (besonders auf die Orgel) :-)

Anonym hat gesagt…

ahh! wie toll! ich freu mich auch mal gerade wie nen honigkuchen-pferd auf den 1.4 wie grandios!!!! persönlich würde ich mir ja noch "Une annee sans lumiere" wünschen. find den song einfach bezaubernd. aber so wei du das alles erzählst wird das alles einfach fantastisch!! dankeschön für den tollen blog!

Oliver Peel hat gesagt…

Ja, une annee sans lumière fehlte und auch Power out und "Neon Bible".

Christoph hat gesagt…

Was sie wohl in Deutschland statt des Gainsbourg-Titels spielen? Ich habe vorhin mit Oliver schon spekuliert, daß es sicher nicht "Sich tröööööööt" von Grönemeyer ist.

Ich freue mich auch irre auf Köln.

Anonym hat gesagt…

Monsieur,
na, da lobst Du aber die Herrschaften echt über den Klee. Die müssen ja bei Dir wirklich Eindruck hinterlassen haben. Guter Blog, cheri ;-)

Anonym hat gesagt…

Wird wohl in nächster Zeit nichts mit Arcade Fire und mir. Ich bin traurig :-/

Oliver Peel hat gesagt…

Auch ich bin traurig Christina, versuche schon den ganzen Tag erfoglos Dich über Deine MySpace-Seite zu erreichen, um meine Anteilnahme auszudrücken, schluchz :-((

Christoph hat gesagt…

Du hast gut reden, Du hast sie ja sehen können ;-)

Anonym hat gesagt…

:-( :-( :-(

(und dazu noch der ganze Verwaltungsaufwand der auf mich zukommt...Karten im Ausland umtauschen...genommenen Urlaub rückgängig machen...Hotelreservierung canceln...)

Hätte er nicht noch 8 Tage durchhalten können? Oder hätten sie nicht einfach Instrumentalstücke spielen können?
:-(

 

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