Sonntag, 30. Juni 2013

Dendemann, Esslingen, 29.06.2013

Konzert: Dendemann
Ort: Eishalle, Esslingen (Back 2 Flavour Jam)
Datum: 29.06.2013
Zuschauer: vielleicht 200
Dauer: 60 Minuten


So hat man Dendemann sicherlich lange nicht mehr gesehen. Ohne Live-Band, nur von einem DJ begleitet, rappt sich der Hamburger ziemlich genau eine Stunde durch seinen Backkatalog. Das noch immer aktuelle, nunmehr drei Jahre alte Album „Vom Vintage verweht“ wird weitgehend ausgespart. 
 Es ist die Back 2 Flavour Jam in der Esslinger Eishalle auf der Neckarinsel. Den ganzen Tag über fanden Wettbewerbe in Breakdance oder im Graffiti-Sprayen statt, traten Nachwuchsrapper und etablierte Künstler der deutschen Hip-Hop-Szene auf. 
Außer Dendemann interessierte mich das Line-Up nicht, sodass wir erst gegen viertel nach zehn die Halle erreichen. Auf der Bühne stehen Creutzfeld & Jakob, ein Projekt aus dem Ruhrpott, das mal von Herbert Grönemeyers Neffen Till produziert wurde. Der technisch versierte, inhaltlich stumpfe Rap der Wittener lässt mich kalt, für 23 Uhr ist Dendemanns Auftritt angekündigt.
 Fünf Jahre ist es jetzt her, dass ich ihn das erste Mal live sah: Damals spielte er vor 45.000 Zuschauern auf dem Hessentag in Homberg/Efze im Vorprogramm von Herbert Grönemeyer. 2008 konnte ich der Musik des Rappers im Star-Wars-T-Shirt nichts abgewinnen, war noch zu jung und Hip-Hop gegenüber generell eher feindlich eingestellt; das waren einst Grundsatzfragen. Erst zwei Jahre später erkannte ich die hohe Klasse, die perfektionierte Wort-Akrobatik, wie sie in Deutschland sonst niemand beherrscht, als ich ihn auf dem Southside Festival direkt vor Phoenix sehe. Gerade veröffentlicht, begeisterten mich die Tracks von „Vom Vintage verweht“ ebenso sehr wie die konsequente Selbstinszenierung mit Vokuhila, Schnauzer, Jeans-Weste und Trucker-Kappe. Im Nachhinein hatte hier jemand den Riecher für aufkommende Anti-Sub-Kulturen und parodierte das Hipstertum schon vor der großen Welle. 


Nachdem ich ihn mir zuletzt 2011 auf dem Highfield Festival vor den White Lies und The National angesehen habe, freute ich mich Dendemann, die große Galionsfigur des deutschen Studentenraps auch in diesem Jahr wiederzusehen. Keine Frage, ohne seine Vorarbeit wäre der Erfolg der Caspers und Prinz Pis der Szene kaum denkbar gewesen. 
Um 23.03 Uhr steht er auf der Bühne, der Schnurrbart ist ab, der Vokuhila sitzt. Mit großem Bewegungsdrang wirbelt der 39-jährige über die Bühne, spuckt die Worte mit seiner markanten Reibeisenstimme mit Hamburger Einschlag nur so aus; als zweites Stück gibt es „Check mal die Rhetorik ab“, das sein Selbstverständnis förmlich abzubilden scheint: „Aller Anfang läuft meist ein wenig schief / Allerdings nicht dieser, du weißt jetzt Genetiv / Reime sind für mich nur die Geister die ich rief / auf der Suche danach werd ich zum Meisterdetektiv“. Keiner seiner Kollegen spielt so geschickt mit Worten, beugt die Silben ähnlich, ist rhetorisch derart gewandt. Die wenigen Zuschauer, die da sind, sind euphorisiert. Wirkten die etwa 200 Fans während des Creutzfeld & Jakob Auftritts noch auffallend reserviert, rappen sie jetzt mit, gehen auf die rituellen Call & Response – Spiele ein und bewegen ihre Arme rhythmisch zum Beat. 

 Für Dendemann, der auf den großen Indie-Festivals ein alljährlicher Stammgast ist, ist ein deartiges Szenepublikum vermutlich eine eher ungewohnte Sache, die Technik macht hin und wieder Schwierigkeiten, ein DJ ersetzt eben keine Band. „Beste wo gibt“ folgt, bevor er mit einem Freestyle-Rap die Back 2 Flavour Jam Revue passieren lässt. Noch so etwas, das man bei einem seiner Festival-Auftritte nicht erlebt; Hip-Hop lebt traditionell von Spontanität, Dendemann zeigt, dass er noch heute manch einem Battle gewachsen wäre. 
Den ausgefeilten Crossover-Sound seines letzten Albums sucht man heute hingegen vergebens, „I'm A Record Junkie und zurück“ ist das einzige Stück des außergewöhnlichen, von Moses Schneider produzierten Albums, auf dem sich das wohl beste Tocotronic-Sample aller Zeiten findet. 
„Auf Festivals spielt man ja immer vor einem sehr gemischten Publikum... Sind heute Abend... Gibt es in Esslingen Gangster?“, Einzelne melden sich, Dendemann lacht und spielt „Gangsterbraut“, seine bitterböse Satire auf Gangsterrap-Klischees. „Sachmagehtsnoch“ muss wegen erneuten technischen Problem abgebrochen werden, spontan rezitiert Dendemann ein selbstverfasstes „Gedicht durch die Blume“, bevor das begonnene Stück nun doch vollendet werden kann. 
Der größte Hit „Nichtschwimmer“ und kollektives Armeschwänken gegen Ende des Sets, „Ich bin kein Rapper, nur ein Bluessänger auf Abwegen, bin kein Rebell nur ein Fußgänger auf Radwegen“; dann noch „Hört niemals auf“ und das Konzert ist vorbei. Eins, Zwo hieß Dendemanns erstes Projekt, mittlerweile spielt er diese frühen Songs eher selten, der Esslinger Szene schenkt er in den Zugaben gleich zwei dieser Stücke: „Hand, auf's Herz“ und „Danke, gut!“. Danke Dendemann, tat wieder gut. Es ist an der Zeit für ein neues Album, dann aber bitte wieder mit Band.

Setlist, Dendemann, Esslingen:

01: Eins, Zwo (?)
02: Check mal die Rhetorik ab
03: Beste wo gibt
04: Freestyle
05: Nummer 7
06: Gangsterbraut
07: I'm A Record Junkie und zurück
08: Sachmagehtsnoch (abgebrochen)
09: Ein Gedicht
10: Sachmagehtsnoch
11: Nichtschwimmer
12: Das Übliche (?)
13: Hörtnichauf

14: Hand auf's Herz (Eins, Zwo - Song) (Z)

15: Danke, gut (Eins, Zwo - Song) (Z)



 

Konzerttagebuch © 2010

Blogger Templates by Splashy Templates