Mittwoch, 12. September 2012

Rachel Sermanni, Paris, 07.09.12


Konzert: Rachel Sermanni

Ort: La Fabrique des Balades Sonores, Paris
Datum: 07.09.12

Zuschauer: etwa 25

Konzertdauer: gut 45 Minuten




Manchmal deprimiert es mich alten lüsternen Mann zutiefst, zwischen diesen ganzen anderen lüsternen, alten Männern zu stehen, die regelmäßig anzutreffen sind, wenn eine junge Dame, womöglich noch attraktiv, auf der Bühne steht. Es sind ja fast immer die gleichen Sonderlinge, die da in der ersten Reihe rumschmachten, ein Foto nach dem nächsten schießen, mit ihrer kleinen Kamera Videos drehen, die sie dann noch am gleichen Abend bei youtube hochladen und sich hinterher ihre CD signieren lassen, während sie die Dame mit Lobhudeleien zusülzen.

Wahrscheinlich liegt meine Niedergeschlagenheit darin begründet, daß ich einen Spiegel vorgesetzt bekomme. Weil ich genau wie diese komischen Käuze da rumstehe, fotografiere wie ein Besessener und hinterher die Musikerin vollschleime. Unfreiweillig gehöre ich also zu diesem Club.

Allerdings spielen bei mir nie erotische Erwägungen eine Rolle. Das mag man mir glauben oder nicht, ist aber so. Schauspielerinnen, Sportlerinnen und Sängerinnen haben mich schon immer kalt gelassen, geschwärmt habe ich weder für Brooke Shields noch
für Katy Witt oder Nena. Fantum kann ich nachvollziehen, liebesähnliche Anbetungen nicht. Wenn ich heutzutage euphorisch von Konzerten von Tiny Ruins, Rachael Dadd, Mina Tindle oder Mariee Sioux berichte, darf man das nicht als Liebelei missverstehen, selbst wenn dabei nicht nur die Begeisterung für die Musik, sondern auch für die Persönlichkeit der Künstlerin zum Ausdruck kommt. Eine Distanz ist immer gegeben, auch wenn meine Texte diese freilich nicht immer deutlich machen.

Aber was hat die lange Einleitung mit dem heutigen Showcase in der Fabrique des Balades Sonores zu tun? Nun, es war halt eben wieder mal so ein Konzert, bei dem die üblichen Verdächtigen- ich mittendrin-, die Künstlerin, die junge Schottin Rachel Sermanni, hinterher umlagerten, sich die Debüt-CD signieren ließen (obwohl mir Autogramme eigentlich vollkommen schnuppe sind) und ihr die üblichen lobenden Sätzchen ("tolles Konzert, ganz wundervoll etc.") und den üblichen Smalltalk ("wo hast du gestern gespielt?, wo wirst du morgen sein?") aufzwangen. Unangenehmerweise ertappte ich mich Armleuchter dabei, daß ich am liebsten die ganzen anderen Armleuchter verscheucht hätte. Wie gerne hätte man doch ein exklusives, privates Gespräch mit einem Künstler, aber die Anwesenheit der anderen macht einem klar, daß die Musiker immer die gleichen Floskeln mit den Fans austauschen und das alles zur Promo gehört, wie nett und authentisch die jeweiligen Künstler auch sein mögen. Mit ein paar gutplatzierten Sätzchen wird man es auf jeden Fall nicht schaffen, Freund (Freund wohlgemerkt, nicht Liebhaber!) zu werden. Frustrierend.


Vor allem, wenn man dann von dem Promomarathon erfährt, den heutzutage alle Musiker durchlaufen. Portrait-Photosession mit Fotograf "Scharferblick" am frühen Nachmittag (den man natürlich kennt und auf den man ein wenig neidisch ist), Videosession mit Videofilmer "Filmmichgut" (den man ebenfalls kennt und beneidet) am späten Nachmittag, danach Interview mit dem Blog "Ichfragdireinlochindenbauch", 2. Interview mit dem Blog "ichfragdirnocheingrößereslochindenbauch", drittes Interview mit Printmagazin "Knitchfork". Und am nächsten Tag erneute Videosession mit Videofilmer "Unterwasserakustiksession", einem der Hunderttausenden, der die Blogothèque mit ihrem Konzept der Akustikkonzerte an besonderen Orten kopiert hat. Wie die Aasgeier fallen diese ganzen Leute über die Künstler her, jeder will einen Stück von dem Kuchen abbekommen, ihn besonders toll fotografieren, an einem besonders abgefahrenen Ort abfilmen, ihm eine besonders clevere Frage stellen. Kurzum: diese ganzen (halb)professionelen Medienschaffenden (zu denen wir vom Konzerttagebuch sicherlich auch gehören), nerven manchmal wie Sau. Und die ganzen Konzertfreaks, die geanu wie ich nichts anders aus ihrem Leben zu machen wissen, als wie Süchtige zu Konzerten zu rennen, nerven auch wie Sau. Schlimm.

Aber es ist keine Geringschätzung der anderen Fans und Blogger, die ich hier zum Ausdruck bringen will, im Gegenteil. Schließlich bin ich einer von ihnen und mag sie eigentlich alle sehr gerne. Es geht mir nur um die Vermittlung des teilweise auftretenden Gefühls, nur Teil einer Horde zu sein, obwohl man doch so gerne individuell wäre. Nie hat man mal den Künstler für sich alleine, selbst in Indie-und Folkkreisen nicht. Immer muss man teilen.

Dabei wäre es doch so toll, wenn eine wie Rachel Sermanni nur für einen selbst singen würde. Man stellt sich das dann so traumhaft vor, wie man auf der Bettkante sitzt und sie mit der Gitarre in der Hand auf dem Bett sitzend die schönsten Lieder der Welt singt.







Stattdessen steht man wie im heutigen Fall schwitzend zwischen 20 anderen Leuten, sehnt sich eigentlich nur danach, draußen Luft zu schnappen und hofft-obwohl es musikalisch wundervoll ist- daß das Konzert schnell vorbei ist, um sich die CD gemütlich zu Hause auf dem Sofa anzuhören.


Aber Live-Genuß und CD-Anhören ist natürlich nie das Gleiche. Unersetzlich ist das Gefühl, handgemachte Musik aus nächster Nähe zu hören, bei der sich auch immer mal wieder kleine Fehler einschleichen. Bei der man die Mimik und Gestik des Künstlers mitverfolgen kann und zudem auch noch kleine Anekdötchen und Erläuterungen zu den einzelnen Liedern geliefert bekommt. Im Falle von Sea Oh See, daß das Lied eigentlich The Pirate Song hätte heißen sollen, daß es darum geht, daß ein Mädchen (sie selbst?) loszieht, um Piratin zu werden, dann aber eigensüchtig wird und in Probleme gerät, oder daß bei Bones viel Wut mit im Spiel ist ("C'est une chason avec du couleur" (couleur=Farbe), wie sie auf französich sagte, obwohl sie natürlich colère (=Wut) meinte).


Aber Wut ist ein gutes Stichwort, denn Feuer und Biss hatte sie, dieses schmächtige (relativ), kleine Persönchen aus den schottischen Highlands. In manchen Szenen drückte sie stimmlich so richtig auf die Tube, schrie fast, stellte sich auf ihre Zehenspitzen und spielte schnell und energisch Gitarre. Dann aber wurde sie wieder zärtlicher und besinnlicher, drosselte das Tempo und die Lautstärke ihrer Stimme. So entstand ein interessantes Wechselspiel aus lieblichen und leidenschaftlichen Phasen, aus liebreizenden Balladen und feurigen Anklagen. Gut 45 Minuten lang ging das so, Zeit, in der fast das gesamte Album durchgespielt wurde aber auch ein anderer Titel (in dem es um ihre Albträume ging) zum Vortrage kam. Starkes Songmaterial mit reifen, sehr poetischen Texten und ohne das oft übliche Strope-Refrain-Strophe Schema. Es war also ein ausgesprochen guter Showcase, der mit Song To A Fox endete und Lust gab, Sermannis nächstes Pariser Konzert am 13. November im Espace B zu besuchen.

Am Ende des Tages hatte sich meine eingangs beschriebende Depriphase dann übrigens wieder verflüchtigt, war ich mit mir, der Welt und meinen Mitmenschen wieder im Reinen und hörte ganz entspannt das Album durch. Es gibt darauf viele Geigen zu hören, ganz anders als bei dem Showcase, wo Rachel nur eine Akustikgitarre zu Verfügung stand. Reizvoll ist beides.

Ausgewählte Konzerttermine Rachel Sermanni:

22.10.2012: Nachtleben, Frankfurt
23.10.2012: Stadtgarten, Köln
25.10.2012: Cometclub, Berlin
26.10.2012: Sweat Club,Leipzig
27.10.2012: Prinzenbar, Hamburg
28.10.2012: Atomic Café, München
30.10.2012: Chelsea, Wien
31.10.2012: Egger's. Kufstein, Österreich
01.11.2012: TIK, Dornbirn, Österreich
02.11.2012: TIK, Dornbir, Österreich
13.11.2012: Espace B, Paris
18.11.2012: Ono,Bern
19.11.2012: Hafenkneipe, Zürich
21.11.2012: Café Video, Gent
23.11.2012: Merleyn, Nijmegen

alle Termine gibt es hier



2 Kommentare :

E. hat gesagt…

sympathische ausführungen, mein lieber. habe ich mit vergnügen und dem einen oder anderen "kopfnicken" gelesen.

Gudrun hat gesagt…

Hallo Oliver, als ich deinen Post gelesen habe, musste ich den Kopf schütteln, denn gerade am gleichen Abend hatte ich mich mit ähnlich gelagerten Gedanken beschäftigt aus einer anderen Richtung kommend. Leider hat meinen ursprünglichen post vom iPad aus eine der vielen Anmeldeprozeduren "gefressen", sonst hättest Du direkt eine Reaktion von mir bekommen. So jetzt also mit Zeitverzögerung. Ich war zu einer Autorenlesung an dem Abend. Ich bin nicht hingegangen, weil ich Fan bin, sondern weil mich der Ort interessiert hat, wo die Veranstaltung stattfand und ich mir auf Dienstreisen abends gern was vornehme. Aber der Herr hat mich dann sehr angenehm überrascht. Er hatte ein gutes Händchen mit dem Publikum, sagte einige Sachen, die ich klug fand und keine Plattitüden sind und wirklich interessant. Ein gelungender Abend! Ich stellte mich dann an die Schlange, weil ich ihm gern noch ein paar persönliche Worte sagen wollte (nur drei Sätze). Aber so bekam ich dann noch mit, wie sich der Organisator und der Buchautor unterhielten, der es am Schluss eilig hatte, noch seinen Zug zu kriegen. Das Gespräch hat mich dann total runtergezogen, weil der Autor gemeckert hat, er hätte sonst dreimal so viele Leute im Publikum (ich fand es eigentlich gut besucht) und meine drei Sätze bin ich auch nicht los geworden. Freilich darf der gute Mann auch ein Mensch sein usw. Aber diese heftige Vermischung von profanem und Kunst hat mich dann doch irgendwie etwas geschockt und mich noch länger beschäftigt.

 

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