Konzert: Battles
Ort: Le Trabendo, Paris
Datum: 16.10.2007
Zuschauer: nicht ausverkauft
"La Folie Tokio Hotel" (Tokio Hotel, der Wahnsinn) konnte ich entziffern, als ich auf dem Heimweg vom Konzert von Battles mit der Metro zurückfuhr und bei einer Passantin in ihrer Zeitung mitlas. Gleich auf mehreren Seiten wurde über das "Phänomen" aus Deutschland berichtet und die Mitdreißigerin schien den Text interessiert aufzusaugen...
Hatte ich da etwas verpasst? War ich auf dem falschen Konzert gewesen? - Wohl kaum, dem Auftritt der kajalgeschminkten Teeniestars im riesigen und ausverkauften Palais Omnisport de Paris Bercy weinte ich keine Träne nach, eher schon dem verpassten Gig der witzigen Kanadier Malajube, die in der Maroquinerie ihre Show abzogen.
Ich aber hatte mich nunmal für die New Yorker Battles (nicht mit den Engländern Battle zu verwechseln!) entschieden und bedauerte dies auch im Nachhinein nicht. Schließlich gibt es wenige ähnlich innovative Bands zur Zeit. Die neuen Ideen scheinen ohnehin dieses Jahr aus Amerika zu kommen, ich denke da an Formationen wie Grizzly Bear, !!! (chk chk chk), CocoRosie, Animal Collective und Rio en Medio. Aus England fällt mir jetzt spontan nur Electrelane ein, die für frischen Wind sorgen (zumindest innerhalb der bekannteren Gruppierungen) und deshalb war es wohl kein Zufall, daß der anwesende Chefredakteur der 100% auf englische Bands spezialisierten Seite namens "SoundOfViolence.net" etwas Abwechslung aus Amerika suchte.
Nicht, daß wir uns falsch verstehen, England hat die beste Mainstream-Szene zu bieten, in Deutschland könnte man froh sein, wenn eine klasse Band wie The Coral soviele CDs wie in England verkaufen würde, aber die kuriosen Dinge kommen im Moment nun mal aus Amerika.
Innovation und Kreativität ist aber manchmal auch gleichbedeutend mit Nervpotential und davon haben Battles zweifelsohne reichlich zu bieten. Auf den Gimmick mit dem abgewürgten Motorengeräusch, oder den Schlumpfgesang muß man schon stehen, wenn man Battles so richtig genießen will. Und überhaupt, was murmelt da Sänger (wenn man das so nennen kann) Tyondai Braxton überhaupt in sein stabförmiges Mikro? Welche Sprache ist das? Nun, das ist wohl auch unerheblich, hier geht es sowieso viel mehr um das Experimentieren mit Geräuschen, pluckernden Beats und schrägen Bass-und Gitarrenriffs. Ist schon immer wieder kurios anzusehen, wenn Ex- Don Caballero Ian Williams mit um den Rücken geschnallter Gitarre in die Tasten greift, Ex-Helmet Drummer John Stanier mit brachialer Gewalt seine Drumms und sein Becken bearbeitet und Bassist Dave Konopka mit schelmischen Grinsen seine Bassläufe spielt und dem Publikum desöfteren den Rücken zugekehrt, um an irgendwelchen Knöpfchen zu drehen. Ständig wird hier an Steckverbindungen rumgefummelt, irgendeine neue Taste gedrückt, etc.; die Bühne wird so zum Labor von Tüftlern und das Publikum ist Zeuge dieses obskuren Schauspiels. Meist sind die gepielten Beats tanzbar, so daß der Mangel an mitzusingenden Texten einigermaßen kompensiert wird. Einzelne Titel, die hervorstechen, sind jedoch weniger auszumachen, von den Singles "Atlas" und "Tonto" mal abgesehen. Vielmehr sind es oft einzelne Stellen innerhalb der Stücke, die für kurzzeitige Begeisterung sorgen. Manchmal fühlt man sich an Verfolgungsjagden aus Kriminalfilmen erinert, ein anderes Mal glaubt man, gerade würde eine Katze gewürgt, oder ein Mann würde ersticken. Auch Passagen, die an Free-Jazz erinnern haben ihren Platz in dem Set, manchmal gibt es auch Stellen, die entfernt etwas mit dem sog. Krautrock zu tun haben. Musikkritiker sprechen von Math-Rock, den Bandmitglied Ian Williams mit seiner ehemaligen Band Don Caballero mitbegründet hat.
Am spannendsten wird es eigentlich immer, wenn Drummer John Stanier urplötzlich aufsteht und auf sein Becken einprügelt, oder wenn die Jungs dicht aneinandergedrängt auf ihre jeweiligen Instrumente fokussiert sind. Da ich aber heute schon mein drittes Battles Konzert in diesem Jahr erlebe, hält sich der Überraschungseffekt in Grenzen, so kreativ diese Show auch ist. Diejenigen, die Battles heute zum ersten Mal beobachteten, sprechen möglicherweise vom verrücktesten Gig des Jahres.
Gesprochen wird übrigens kaum zwischen den einzelnen Stücken, aber was sollen die New Yorker auch schon großartig erzählen? Etwa, daß nun ein Lied über eine unglückliche Liebesbeziehung folgen werde, wie das bei Folk-Sängern oft der Fall ist? - Wohl kaum, den Inhalt muß man sich selbst ausmalen, da ist Phantasie gefragt. Auf mich machen die Stücke jedenfalls oft einen sehr düsteren Eindruck, da bilde ich mir gehetzte Menschen im Großstadtdschungel ein, die unter Panikattacken und Klaustrophobien leiden. Musik, wie sie von Battles gemacht wird, wirkt sehr urban, kalt, angsteinflößend, kaum vorstellbar, daß so etwas von Menschen geschaffen wird, die auf dem Lande leben...
Nach ziemlich exakt einer Stunde Spielzeit haben die vier jungen Männer vorerst fertig, verlassen winkend ihre Plätze und ziehen sich zurück. Eine Zugabe wird noch draufgesetzt, dann ist endgültig Schluß. Die konzentrierten Minen der Musiker erhellen sich, sie können entspannen, denn dies war wohl das Abschlußkonzert ihrer Tournee auf dem europäischen Festland, es folgen noch zwei Auftritte in England, dann geht es zurück in die USA. Ob Drummer John Stanier seine Kölner Freundin nicht vermissen wird? Schließlich gibt es sogar einen Titel über die Domstadt, er heißt Leyendecker und bezieht sich auf die gleichnamige Straße, in der seine Süße wohnt.
Datum: 16.10.2007
Zuschauer: nicht ausverkauft
"La Folie Tokio Hotel" (Tokio Hotel, der Wahnsinn) konnte ich entziffern, als ich auf dem Heimweg vom Konzert von Battles mit der Metro zurückfuhr und bei einer Passantin in ihrer Zeitung mitlas. Gleich auf mehreren Seiten wurde über das "Phänomen" aus Deutschland berichtet und die Mitdreißigerin schien den Text interessiert aufzusaugen...
Hatte ich da etwas verpasst? War ich auf dem falschen Konzert gewesen? - Wohl kaum, dem Auftritt der kajalgeschminkten Teeniestars im riesigen und ausverkauften Palais Omnisport de Paris Bercy weinte ich keine Träne nach, eher schon dem verpassten Gig der witzigen Kanadier Malajube, die in der Maroquinerie ihre Show abzogen.
Ich aber hatte mich nunmal für die New Yorker Battles (nicht mit den Engländern Battle zu verwechseln!) entschieden und bedauerte dies auch im Nachhinein nicht. Schließlich gibt es wenige ähnlich innovative Bands zur Zeit. Die neuen Ideen scheinen ohnehin dieses Jahr aus Amerika zu kommen, ich denke da an Formationen wie Grizzly Bear, !!! (chk chk chk), CocoRosie, Animal Collective und Rio en Medio. Aus England fällt mir jetzt spontan nur Electrelane ein, die für frischen Wind sorgen (zumindest innerhalb der bekannteren Gruppierungen) und deshalb war es wohl kein Zufall, daß der anwesende Chefredakteur der 100% auf englische Bands spezialisierten Seite namens "SoundOfViolence.net" etwas Abwechslung aus Amerika suchte.
Nicht, daß wir uns falsch verstehen, England hat die beste Mainstream-Szene zu bieten, in Deutschland könnte man froh sein, wenn eine klasse Band wie The Coral soviele CDs wie in England verkaufen würde, aber die kuriosen Dinge kommen im Moment nun mal aus Amerika.
Innovation und Kreativität ist aber manchmal auch gleichbedeutend mit Nervpotential und davon haben Battles zweifelsohne reichlich zu bieten. Auf den Gimmick mit dem abgewürgten Motorengeräusch, oder den Schlumpfgesang muß man schon stehen, wenn man Battles so richtig genießen will. Und überhaupt, was murmelt da Sänger (wenn man das so nennen kann) Tyondai Braxton überhaupt in sein stabförmiges Mikro? Welche Sprache ist das? Nun, das ist wohl auch unerheblich, hier geht es sowieso viel mehr um das Experimentieren mit Geräuschen, pluckernden Beats und schrägen Bass-und Gitarrenriffs. Ist schon immer wieder kurios anzusehen, wenn Ex- Don Caballero Ian Williams mit um den Rücken geschnallter Gitarre in die Tasten greift, Ex-Helmet Drummer John Stanier mit brachialer Gewalt seine Drumms und sein Becken bearbeitet und Bassist Dave Konopka mit schelmischen Grinsen seine Bassläufe spielt und dem Publikum desöfteren den Rücken zugekehrt, um an irgendwelchen Knöpfchen zu drehen. Ständig wird hier an Steckverbindungen rumgefummelt, irgendeine neue Taste gedrückt, etc.; die Bühne wird so zum Labor von Tüftlern und das Publikum ist Zeuge dieses obskuren Schauspiels. Meist sind die gepielten Beats tanzbar, so daß der Mangel an mitzusingenden Texten einigermaßen kompensiert wird. Einzelne Titel, die hervorstechen, sind jedoch weniger auszumachen, von den Singles "Atlas" und "Tonto" mal abgesehen. Vielmehr sind es oft einzelne Stellen innerhalb der Stücke, die für kurzzeitige Begeisterung sorgen. Manchmal fühlt man sich an Verfolgungsjagden aus Kriminalfilmen erinert, ein anderes Mal glaubt man, gerade würde eine Katze gewürgt, oder ein Mann würde ersticken. Auch Passagen, die an Free-Jazz erinnern haben ihren Platz in dem Set, manchmal gibt es auch Stellen, die entfernt etwas mit dem sog. Krautrock zu tun haben. Musikkritiker sprechen von Math-Rock, den Bandmitglied Ian Williams mit seiner ehemaligen Band Don Caballero mitbegründet hat.
Am spannendsten wird es eigentlich immer, wenn Drummer John Stanier urplötzlich aufsteht und auf sein Becken einprügelt, oder wenn die Jungs dicht aneinandergedrängt auf ihre jeweiligen Instrumente fokussiert sind. Da ich aber heute schon mein drittes Battles Konzert in diesem Jahr erlebe, hält sich der Überraschungseffekt in Grenzen, so kreativ diese Show auch ist. Diejenigen, die Battles heute zum ersten Mal beobachteten, sprechen möglicherweise vom verrücktesten Gig des Jahres.
Gesprochen wird übrigens kaum zwischen den einzelnen Stücken, aber was sollen die New Yorker auch schon großartig erzählen? Etwa, daß nun ein Lied über eine unglückliche Liebesbeziehung folgen werde, wie das bei Folk-Sängern oft der Fall ist? - Wohl kaum, den Inhalt muß man sich selbst ausmalen, da ist Phantasie gefragt. Auf mich machen die Stücke jedenfalls oft einen sehr düsteren Eindruck, da bilde ich mir gehetzte Menschen im Großstadtdschungel ein, die unter Panikattacken und Klaustrophobien leiden. Musik, wie sie von Battles gemacht wird, wirkt sehr urban, kalt, angsteinflößend, kaum vorstellbar, daß so etwas von Menschen geschaffen wird, die auf dem Lande leben...
Nach ziemlich exakt einer Stunde Spielzeit haben die vier jungen Männer vorerst fertig, verlassen winkend ihre Plätze und ziehen sich zurück. Eine Zugabe wird noch draufgesetzt, dann ist endgültig Schluß. Die konzentrierten Minen der Musiker erhellen sich, sie können entspannen, denn dies war wohl das Abschlußkonzert ihrer Tournee auf dem europäischen Festland, es folgen noch zwei Auftritte in England, dann geht es zurück in die USA. Ob Drummer John Stanier seine Kölner Freundin nicht vermissen wird? Schließlich gibt es sogar einen Titel über die Domstadt, er heißt Leyendecker und bezieht sich auf die gleichnamige Straße, in der seine Süße wohnt.
1 Kommentare :
Auch wenn ich die Battles natürlich mag...ich hätte an dieser Stelle lieber einen Bericht über eines der beiden Alternativkonzerte gelesen ;)
Zum Thema "was singen sie denn da?" fällt mir noch ein:
www.drownedinsound.com/articles/2371742
Und ich habe seit heute morgen einen schrecklichen Atlas-Ohrwurm. Wer hätte gedacht, dass man von solcher Musik Ohrwürmer haben kann ;)
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