Donnerstag, 2. August 2012

Midi Festival, Hyères, 28 & 29.07.12


Konzert: Midi Festival
Ort: Hyères-les Palmiers, Südfrankreich

Datum: 28 & 29.07. 2012

Zuschauer: gute Frage; es war ein intimes Festival


Im südfranzösischen Hyères ist meine Frau geboren worden und hier ist sie auch zur Schule gegangen. Logisch also, daß ich die kleine Mittelmeerstadt gut kenne und schon oft durch ihre pittoresken Straßen geschlendert bin, vor allem in der Zeit, als ich selbt im Süden Frankreichs wohnte. Ich studierte damals ein Jahr Jura (eine seltsame Idee, hatte ich noch alle Tassen im Schrank?) in Aix-en Provence und kam ohne Examen, aber mit einer jungen hübschen Französin zurück nach Berlin. Inzwischen sind wir längst in Paris gelandet, aber die Zeit an der French Riviera habe ich natürlich noch in bester Erinnerung (nicht wegen des Studiums, sondern anderer Dinge. Welche? Ist 'n Geheimnis!)

Natürlich besuchen wir auch unsere Schwiegereltern/Eltern mindestens einmal pro Jahr und ich fand, daß man in die eine Woche Ende Juli auch schön ein kleines Festival integrieren kann. Ich malte mir das im Vorfeld wunderbar aus: tagsüber an den Strand gehen und meinen dicken, alten Körper durchgrillen lassen, den schönen Mädchen im Bikini hinterherglotzen, abends auf dem Festival zu wunderbarer Musik unter Pininen schwofen. Und so kam es dann auch. Strand, Sonne, sexy Girls bei Tage. Kein Strand, dafür eine Konzertbühne, untergehende Sonne, erneut sexy Girls und gute Musik am Abend. Perfekt. Die zahlreichen Hipster und der Sonnenbrand auf meiner Plautze konnten mir die Laune jedenfalls nicht verderben. Auch nicht, daß ich auf den ersten Festivaltag am 27 Juli verzichtete, weil wir uns auch bei den Eltern mal zeigen mussten (kein Problem, ich mag sie sehr gern).


Am 28. Juli waren wir dann beim Midi Festival live mit dabei. Die Konzerte fanden im Hippodrome nahe des Flughafens von Hyères statt und statt des befürchteten großen Reitstadiums erwartete uns eine kleine intime Ecke unter Pinien, die nichts mit den riesigen unpersönlichen Konzertbühnen bei Massenveranstaltungen zu tun hatte. Der Einlass und die Bändchenvergabe getaltete sich als herrlich unproblematisch und ich wurde mit einem Pressepass ausgestattet, auf dem als Medium einfach "Peel" stand. Herrlich, Oliver Peel enterprises, meine Großmannssucht wurde hier bestens bedient.!

Es war etwa 20 Uhr und auf der Bühne standen Arthur Beatrice. Im Vorfeld war ich ahnungslos davon ausgegangen, daß es sich hierbei um einen französischen Chansonsänger handele. Weit gefehlt, Arthur Beatrice entpuppten sich als vier Briten mit einer sehr hübschen, südamerikanisch wirkenden Sängerin und Keyboarderin mit Zopf und einem rothaarigen Sänger. Wie ich von der Pressechefin erfuhr, handelte es sich um die Band mit den meisten Interviewanfragen überhaupt. Ein gewisser Hype scheint also hier im Anmarsch zu sein.

Stellt sich natürlich sofort die Frage, ob das Medieninteresse gerechtfertigt ist? Nun, zunächst einmal ist nüchtern festzustellen, daß ich neugierig geworden bin auf diese vier Londoner, die ein recht kurzes Set ablieferten. Aber diese Neugierde wird bei einer Internet-Recherche nur unzureichend befriedigt. Die seltsame Homepage erzählt so gut wie gar nichts über die Band, Artikel oder Musik (kein einziges Lied auf der Facebook Seite) des Quartetts recht rar gesät. Da wird man unweigerlich an Wu Lyf und deren anfängliches Versteckspiel erinnert, ohne daß es Arthur Beatrice so wild und mysteriös treiben wie die Jungs aus Manchester vor zwei Jahren.


Nach Wu Lyf klingen Arthur Beatrice jedenfalls nicht. Der Sound erinnerte mich eher an The XX (der Bass, das düstere Moment), die Editors (die Grabesstimme des Sängers), die Antlers (die pathetische Seite, die aber zum Glück nicht allzu stark ausgeprägt ist), die Wild Beats (der tanzbare Rhythmus, die perlenden Gitarren), Beth Jeans Houghton (die hohe, manchmal exaltierte Stimme der Sängerin Ella Girardot) oder Lanterns On The Lake (das Wechseln zwischen ruhigen und stürmischeren Phasen), ohne das die Ähnlichkeiten mit genannten Gruppen jedoch allzu ausgeprägt waren. Arthur Beatcrie klangen somit erfreulich eigenständig, ganz ohne nervenzerrende Ausflüge in experimentelle Gefilde zu starten.


Ihre Lieder waren sehr abwechslunsgreich, feinglidrig und clever arrangiert. Da gab es vieles was aufhorchen ließ, obwohl ich vor diesem Festival nie etwas von dieser Band gehört hatte. Der Überhit, neben der prima Single Midland, war allerdings What We Hoped To Achieve, dessen Titel ich nach dem Konzert recherchierte. Ein sechsminütiges Schmuckstück mit einer anziehend mysteriösen Seite, famosen Tempowechseln, flirrenden Gitarren und einem unwiderstehlichen Finisch.

Da wollte man in Hyeres die Engländer gar nicht so schnell ziehen lassen, aber es musste ja im Programm weitergehen. Für mich wird es jedenfalls ein baldiges Wiedersehen mit Arthur Beatrice geben und zwar beim Haldern Pop Festival. Da freue ich mich jetzt schon riesig drauf!

In Südfankreich war es inzwischen 21 Uhr geworden und die Sonne fing schon an zu sinken, um gegen Ende des Sets des nun an den Start gehenden Thurston Moore samtweich hinter den Pinien unterzugehen.

Der ex-Sonic Youth Mann hatte eine mehrköpfige Band dabei*, darunter auch die famose Geigerin und Bassistin Samara Lubelski, die Kenner auch als Solokünstlerin schätzen.
Die Musiker ließen es zunächst langsam angehen, arbeiteten sich durch wolkenverhangene Passagen langsam ans Licht, blieben aber oft der düster- trüben Atmosphäre der Songs treu. Das Tempo wurde allerdings im Laufe des Sets teilweise deutlich angezogen. Da gab es fetzige und noisige Phasen, die immer wieder durch zahlreiche Brüche und Schlenker konterkariert wurden. Thurston ist halt eben kein Typ für mundgerechten kugelrunden Bubble Gum Pop. Er bleibt seiner Schrägheit treu, schreibt keine Hits für Millionen, die im Sommer aus Autoradios erschallen. Aber die Harcore Indie Freaks hat er auf seiner Seite. Zu recht, denn Burroughs, diese gemeine Noisekeule, war wirklich ein ziemlicher Hammer. Auch sehr cool: Circulation, das von der Geige Subelski nach vorne getrieben wurde und wahnsinnig nonchalant rüberkam. Thurston Moore, der ewige Berufsjugendliche, wippte auf seinen Adidas Sneakers ganz lässig im Takt und zog mit schnellem Armzug durch die Saiten seiner Gitarre. Wie man mit 54 noch auf so unverkrampfte Weise rebellisch sein kann, imponierte mir ungemein.


Zugegeben werden muss, daß nicht jeder im Publikum wirklich begeistert wirkte. Manche standen nur gelangweilt rum, andere lagen auf der Wiese und schonten ihre Kraftreserven für Bon Iver. Thurston Moore schien mir jedenfalls nicht unbedingt der Name auf dem Line-Up gewesen zu sein, für den die meisten Leute gekommen waren. War mir aber egal, denn ich kam beim Gig des schlaksigen Amerikaners auf meine Kosten.


Hinterher hatte ich kurz Zeit, durch den Pressebereich zu schlendern und war erstaunt darüber, wie gemütlich der war. Da gab es große rote Sofas, Liegstühle und eine Pinie, die mit leuchtenden Glühlämpchen behangen war. Sehr heimelig das Ganze, es war wirklich eine verdammt laue Sommernacht.

Um 22 Uhr 30 galt es aber, taufrisch zu sein, denn Bon Iver und seine gefühlt 87 Mitmusiker (in Wirklichkeit waren es acht) stürmten die Bühe, die mit zerfledderten Stofffetzen und elektrischen Fackeln mit Glaslämpchen dekoriert war. Vom Pitchfork Festival in Paris im letzten Jahr wusste ich, daß Justin Vernon inzwischen auf wuchtigen und orchestralen Livesound mit Geige, Trompete, Horn, Basssaxofon und zwei Schlagzeugern setzt und war insofern nicht überrascht, daß es laut und druckvoll aus den Boxen schallte. Nichts mehr übrig von der Folkreduktion des in einer Jagdhütte in Wisconsin enstandenen ersten Albums, stattdessen satter Breitwand Sound und Opulenz in seinen schillerndsten Farben, die auf die Stofffetzen projeziert wurden.

Aber ich musste schon ziemlich bald feststellen, daß Justin sowohl in der abgespeckten, kargen Variante als auch in der stark instrumentierten Version zu überzeugen weiß. Er ist einfach ein exzellenter Musiker, seine Falsettstimme schlichtweg sagenhaft und als Dirigent eines Orchesters taugt er viel. Natürlich konnte man jammern über die verschwundene Intimität und Innigkeit, die fehlende Magie früherer Tage, anerkennen musste aber jeder die meisterliche Beherrschung des famosen Songmaterials, die Komplexität der Liedstrukturen und die tadellose Darbietung des Vortrages.


Besonders gewandelt klang Creature Fear. Das einst so verhuschte Folkstück gebärdete sich wild und angriffslustig wie ein sich bedroht fühlender Bär, rockte am Ende wie Hölle. Wundervoll Holocene, eines meiner Liebslinsglieder des zweiten Albums, das ich unzählige Male im Mietwagen laufen ließ, als ich 2011 die USA durchquerte. Ein perfekter Soundtrack für diese weiten, atemberaubend schönen Landschaften, auch wenn mich Holocene heute nicht besonders stark emotional berührte. Ohnehin war das Konzert eher weniger für Melancholiker, als für Fans im Chor geschmetterter Gesänge geeignet, wie man sie bei Skinny Love hören konnte.


Richtig gelungen fand aber auch ich Calgary, eine Nummer bei der die Falsettstimme von Vernon besonders gut zur Geltung kam und der Schwebesound süße Träume assozierte.

Letztlich dauerte das Konzert etwa 90 Minuten und erlebte mit For Emma noch eine schöne Zugabe.


Schwebenden Schrittes machten wir uns im Anschluß auf den Heimweg. Die nächtlichen Konzerte am weit entfernten Strand schenkten wir uns und überließen das jüngeren Leuten. Wir hatten genug gehört und gesehen und waren zufrieden. Allein der idyllische und bukolische Rahmen hatte das Kommen locker gerechtfertigt.


Die Schönheit der Spielstätte konnte am nächsten Festivaltage noch mal locker getoppt werden. Da fanden die Konzerte nämlich auf einer Anhöhe in den mediteranen Gärten der tollen Villa Noailles statt. Ein Ort am dem regelmäßig Ausstellungen zu besichtigen sind, der aber seit inzwischen sieben Jahren für das Midi Festival genutzt wird. Mir fehlen fast die Worte, um die Magie der Örtlichkeit zu bechrieben, es war einfach irreal schön, wahnsinnig romantisch, kurzum: nicht zu toppen!


Um 19 Uhr gingen die Konzerte auf der nicht sonderlich großen Anlage los. Heute aber konnte mich keiner der insgesamt 5 Gigs so richtig begeistern. Der hünenhafte Brite Gabriel Bruce kredenzte einen recht kitschigen, stark von den 1980er Jahren inspirierten New Wave Elektro Pop Sound, den er mit tiefer Baritonstimme vortrug und der von zwei weiblichen Tanzmäusen in Szene gesetzt wurde. Das war recht unterhaltam, musikalisch aber nicht sehr hochstehend.

Palma Violets im Anschluß vermochten ebenfalls nicht wirklich zu überzeugen. Die junge gehypte Band, die bei Rough Trade gesignt ist, wird oft mit den Libertines verglichen, hatte aber keine Hits im Stile von Can't Stand Me Now oder Time For Heroes zu bieten und spielte einen Sound, den man so ähnlich auch schon in der Vergangenheit gehört hatte. Das spannendste an dem energisch vorgetragenen Set waren die Dejellaba des Sängers, unter der seine weiße Schießer- Boxershort herauslukte und seine schmuztigen Socken. Jedenfalls blieb mir das am stärksten im Gedächtnis haften.


Von Money aus England werde ich sicherlich die ziemlich albern aussehende Mönchsfrisur des Sängers und sein bis auf den letzten Knopf zugeknöpftes Hemd in Erinnerung behalten. Die Gruppe allerdings war definitiv nicht schlecht, hatte aber immer mal wieder Hänger drin, die das Zuhören zäh gestalteten. Vier junge Musiker spielten einen Sound, der an amerikanische Bands wie Animal Collective, Yeasayer oder Grizzly Bear denken ließ, aber auch Spurenelemente von englischen Formationen wie Wu Lyf oder den Manic Street Preachers in sich trug. Mal sehen, wie die sich entwicklen, eventuell komme ich bei den Jungs aus Manchester noch auf den Geschmack. Also dranbleiben.

Dranbleiben war auch das Stichwort beim Konzert der aus LA stammenden Nite Jewel. Wenn man nämlich nah vorne an der Bühne stand, konte man beim Aufbauen sehen, daß die zierliche Sängerin einen Anzug trug, der stark an einen Pyjama erinnerte. Zum Einschlafen war ihr Set dann schließlich nicht, aber ihre musikalische Ausrichtung- eine Mischung aus Soul, Dance Musik, Funk und Pop-, entsprach einfach nicht meinem Geschmack. Da fehlten mir schmerzlich die Gitarren, wurden immer wieder nervige Assoziationen zu Michael Jackson und seiner Off The Wall Phase wachgerufen, oder an Ariel Pink's Haunted Graffiti erinnert. Immerhin konnte ich mich an ihrer schönen Stimme erfreuen, wenigstens etwas.


Zu guter Letzt durften dann Franzosen das Festival schwungvoll beenden. Francois and The Atlas Mountains machten ihre Sache dann auch erwartet gut, spulten ihre tanzbaren Afro-Indiebeat ab und sangen mal englisch, mal französisch (soyons les plus beaux) Dennoch ist der Funke bei mir noch nie so richtig übergesprungen. In den letzten Monaten hatte ich sie ein paar Mal gesehen, immer wieder an einzelnen Liedern (La Piscine!) meine Freude gefunden, wurde aber nie durchgängig gut unterhalten. Das Liedmaterial ist mir einfach zu wechselhaft. Darüber konnte ich mir aber nicht mehr allzu lange Gedanken machen, denn meine Frau holte mich schon vor dem Ende des Konzertes mit dem Auto ab. Sie meinte, ich hätte nun genug Festival gehabt, nun solle ich mich mal wieder um sie kümmern. Recht hatte sie und nächstes Jahr können wir ja wiederkommen, ein Hotel müssen wir schließlich da unten im Süden nicht bezahlen.

Insgesamt: eine sehr lohnende Sache! Das Midi Festival kann ich wirklich empfehlen, allein schon wegen des wundervollen Rahmens!


* allerdings nicht die Harfespielerin


2 Kommentare :

E. hat gesagt…

bezüglich arthur beatrice hättest du dir zumindest im klienicum eine erste soundprobe holen können. die begeisterte mich durchaus, umso größer die freude, die engländer bei dir zu entdecken.
ansonsten hast du mit diesem festival den neidfaktor potenziert, location, acts..., hammer!

Gudrun hat gesagt…

Ausgerechnet Hyères... Habe dorthin nur die besten Erinnerungen (wenn auch ohne Musik) an eine tolle Konferenz und anschließende private Besuche. Wir haben übrigens auch die Bauhaus-Villa vorgezeigt bekommen.

Ein befreundeter Kollege wohnt auch noch in Carqueiranne. Dort haben wir schon mehrfach im Sommerurlaub für 2-3 Wochen das Haus gehütet oder auch sonst mal Station gemacht. Fühlt sich schon sehr vertraut an.

 

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