Mittwoch, 11. Februar 2009

Samamidon, The Chap, Crystal Stilts, Electric Electric, Saint Ouen, 10.02.09


Konzert: The Chap, Crystal Stilts, Samamidon, Electric Electric

Ort: Mains D'Ouevres, Saint Ouen bei Paris
Datum. 10.02.2009
Zuschauer: so einige
Konzertdauer: je nach Künstler unterschiedlich, insgesamt dauerte die Veranstaltung von 20 Uhr 30 bis fast 24 Uhr.



Schon seltsam! Da gehe ich seit nunmehr sechs Jahren in Paris auf alle möglichen Konzerte, habe aber erst vor ein paar Tagen anläßlich des sehr guten Mo' Fo Festivals den wunderbaren Konzertsaal Mains D'Ouevres in Saint Ouen bei Paris für mich entdeckt. Wahrscheinlich hat mich immer der Gedanke abgeschreckt, aus Paris rausfahren zu müssen, einen anderen Grund für mein bisheriges Fernbleiben sehe ich jetzt nicht, denn das Programm war eigentlich schon immer sehr interessant.

Aber egal, besser spät als nie, jetzt kenne ich das Mains d'Oeuvres ja und es wird bestimmt noch einige Gelegenheiten geben, der Seine-Metropole den Rücken zu kehren und nach Saint Ouen zu pilgern! Im Moment ist es wirklich besonders spannend hier, das Mo' Fo Festival liegt gerade erst ein paar Tage zurück und schon geht es mit vielen guten Acts weiter.

Gleich vier an der Zahl wurden heute für faire 15 Euro einem interessierten Publikum geboten. Allesamt hervorragend, wenngleich bisher nur einem Insiderpublikum bekannt. Für mich persönlich war das Line Up* jedenfalls Grund genug, die in Paris am gleichen Abend auftretenden Bloc Party und Travis links liegen zu lassen.

Allein schon für den jungen amerikanischen Singer /Songwriter Sam Amidon würde ich eine weitere Anfahrtstrecke in Kauf nehmen. Der witzige Bursche ist gerade auf einer kleinen Frankreich-Tour unterwegs und inzwischen wieder im Großraum Paris gelandet, nachdem es ihn in die französische Provinz und sogar bis ins belgische Gent verschlagen hatte. Ich sage wieder, weil Sam erst vor genau einer Woche für zwei Konzerte in der Stadt der Liebe war.

Dreimal ein Talent wie Sam Amidon, davon zweimal gratis, als Pariser Folkfan kann man sich wahrlich nicht beklagen!

Schade bloß, daß man den Mann mit der Mütze und dem obligatorischen rot- schwarz karierten Holzfällerhemd ausgerechnet im Restaurant/Cafe im Eingangsbereich platziert hatte! Alles andere ein idelaler Ort für ein ruhiges, akustisches Konzert, denn permanent polterten Leute zur Tür hinein, unterhielten sich laut, tranken Bier und aßen Schlachterplatten.

Ich bewunderte erneut den Nachwuchsmusiker darum, wie souverän er mit dem teilweisen Desinteresse umging. Um die Leute bei Laune zu halten, sang er ohne Rücksicht auf Verluste bei einigen Songs bewußt schief und falsch! Ausgerechnet bei seinem Paradestück, der traumhaften Ballade Saro, fing er in einer unmöglichen Stimmlage an, erzeugte dadurch verwunderte Blicke und tat dann so, als sei ihm das aus Versehen passiert. Dann änderte er den Griff an seiner Gitarre und sang in der Folge auf das Wunderschönste. Ein Schelm und was für einer! Unglaublich sympatisch der Blondschopf, spitzbübisch und dabei hochintelligent. Auch seine Französischkenntnisse gehen weit über die Standardphrasen hinaus. Er spricht wirklich ein ziemlich beachtliches Französisch und versteht ohnehin alles, was die Frenchies erzählen! Vielleicht konnte er sich ja hinterher an eine Unterhaltung erinnern, die an einem der umliegenden Tische stattfand?!

Man kann es ihm nicht verdenken, daß er angesichts dieser äußeren Umstände ein wenig unkonzentriert wirkte und nicht sein bestmögliches Konzert gespielt hat. Auch sein Banjo hatte er nicht dabei und so fehlte es ein wenig an Variationen. Totzdem gefielen auch heute wieder das zitierte Saro, dann The Wedding Dress und auch das Tears For Fears Cover Head Over Heels. Persönliches Highlight war aber das traditionelle Folklied Wild Bill Jones mit dem wunderschönen dumdadada-Singalong und dem düsteren Text: "got my money in my pocket and my pistol in my hand" ...

Am Ende gab es dann sogar noch ein Lied auf der Fiedel, die er mir bei seinen zwei vorhergehenden Konzerten vorenthalten hatte. Auch hir ging es nicht ganz ohne Slapstick ab. Irgrdnwann in der Mitte des Liedes krächzte Sam nämlich plötzlich wie ein Verrückter und zog die schiefen Töne schier endlos in die Länge. Ein Wahnsinnstyp! Auf keinen Fall verpassen, wenn er mal in eurer Nähe ist!

Auch die demnächst stattfinden Deutschlandkonzerte der New Yorker Crystal Stilts sollte man sich nicht entgehen lassen. Die fünfköpfige Band mit dem lockenköpfigen, entrückt wirkenden Sänger und der brünetten, im Stehen spielenden Schlagzeugerin, schrammelte sich vierzig Minuten lang durch ihr waviges und garagenrockiges Set, das einen augenblicklich an Kultbands wie The Velvet Underground und Joy Division, aber auch zeitgenössische New Yorker Gruppen wie Interpol oder die Strokes denken ließ. Wenn man die Namen der Referenzbands liest, winkt natürlich so mancher von vornherein ab, ganz nach dem Motto: schon wieder? Ist das Post Punk Revival immer noch nicht tot? Nun, wenn man sich junge Bands aus England, wie z. B. Glasvegas oder die White Lies ansieht, die in diesem Genre mittels eklig schwülstigem Bombast weiterhin auf der Jagd nach schnell verdienter Kohle sind, dann kann man sich schon fragen, wer so etwas noch braucht. Die New Yorker Kapellen kriegen das Ganze aber geschmackvoller hin, indem sie wie z.B. The Walkmen, ein wenig Blues und Folk zu der garagigen Suppe hinzumischen und auch psychedelische Elemente einfließen lassen. Crystal Stilts bedienen sich ebenfalls dieser Zutaten und klingen dann manchmal ein wenig wie Gun Club, wahrlich keine schlechte Referenz!

Sehr postiv zu bewerten ist, daß sie ihre Songs nicht zu sehr mit Pathos aufladen, alles wirkt bei ihnen cool und locker aus der Hüfte geschossen und die Mischung zwischen Schrammeligkeit und poppigen, einprägsamen Melodien gelingt ihnen ausgezeichnet. Man merkt, daß es die Band eigentlich - wenngleich nicht in dieser kompletten Besetzung - schon seit 2003 gibt, denn von dem Debütalbum Alight Of The Night, das soeben erst erschienen ist, performten sie heute gerade einmal 3 Lieder, der Rest war schon neues Material. Noch nicht einmal die Singleauskopplung Departure war Bestandteil des heutigen Sets, aber das schadete nicht weiter, denn sie hatten mehrere gute Lieder im Gepäck. Eines davon, schlicht Crystal Stilts benannt, hätte auch wunderbar als Soundtrack für den Film Pulp Fiction getaugt, während Prismatic Room shoegazerhaft rüberkam und so ähnlich auch von The Jesus & Mary Chain hätte stammen können.

Am coolsten fand ich innerhalb der Band natürlich die Schlagzeugerin Frankie Rose, nicht nur weil sie im Stehen spielte, sondern einen gewaltigen Bums hatte und zudem noch hübsch an den Armen tätowiert war. Sänger Brad Hargett hingegen wirkte mit seinem verschlafenen, weggetretenen Blick fast ein wenig zu klischeehaft, so als wolle er unbedingt wie in Trance erscheinen. Störte aber nicht weiter, denn insgesamt boten die New Yorker ein überzeugendes Konzert, das die Hoffnung weckt, daß es doch noch Bands gibt, die dem Post Punk - und Garagenrockrevival neues Leben einhauchen.

Mit den Franzosen Electric Electric ging es nach einer circa 20 minütigen Pause weiter. Von dem Trio aus Straßburg hatte ich nie zuvor gehört, aber hier und heute taten sie alles, um dies zu ändern. Schon nach den ersten Takten war klar, worum es sich hier musikalisch drehen sollte: Mathrock war angesagt! Ziemlich unbeleckt auf diesem Gebiet, kamen mir zum Vergleich natürlich sofort Battles in den Sinn, aber ohne den seltsamen Schlumpfgesang. Aber was rede ich von Gesang, die erste Phase war komplett instrumental gehalten und wenn dann später einmal gesungen wurde, überdeckte der höllische Lärm, den die Gitarren und Synthesizer erzeugten, die Stimme des Sängers. Obwohl ich nicht der allergrößte Mathrock Fan dieses Planeten bin, gefiel mir das Set der Franzosen ziemlich gut, denn die Songstrukturen waren komplex und ideenreich und spontane Tempowechsel sorgten für Abwechslung. Trotz experimenteller Passagen blieb alles gut hörbar und hatte auch Wiedererkennungswert, ohne gleich so strukturiert und radiotauglich wie Foals zu werden. Electric Electric, ohne Frage eine interessante Band!

Nun aber war die Zeit für The Chap, den Headliner des Abends, gekommen. Eigentlich sollte es um 22 Uhr 40 losgehen, aber der Soundcheck zog sich schier ewig in die Länge. Mindestens zwanzig Minuten lang überprüften die drei Männer auf der Bühne - ein schlacksiger (deutscher) Gitarrist, ein leicht moppeliger (griechischer) Bassist mit kurzen Shorts und ein langbärtiger (schottischer) Drummer mit Katzen- T-Shirt - den Klang ihrer Instrumente (darunter auch Violine und Violincello) und der Mikros. Vielleicht fehlte hier die ordnende weibliche Hand? Die beiden Keyboarderinnen Claire Hope und Berit Immig (eine Deutsche) waren nämlich zu meiner Enttäuschung nicht mit dabei, es gab wohl Probleme bei der Anreise...

Diese Tatsache dürfte sich auch deutlich auf den Sound ausgewirkt haben, denn statt wie erwartet elektro-poppig klang das Ganze nun vielmehr punk-funkig.

Am Anfang hatte ich gewisse Probleme, mich mit der Musik und den Darstellern auf der Bühne vertraut zu machen. Ich wußte nicht so recht, wie mir das gefiel und was ich von den Typen zu halten hatte. Waren die nicht alle total panne? Alleine, der Drummer! Wie der aussah und was für Grimasen der schnitt! Mit seinem lang ausgewachsenen Ziegenbart erinnerte er mich stark an Carsten "Visions" Schuhmacher, ihr wisst schon, der Ex-Chefredakteur der Musikzeitschrift, der seinen Posten räumen musste, weil ihm die weite Anreise von Köln nach Dortmund zu seinem Arbeitsplatz auf Dauer unzumutbar war. Aber von dem fiesen Bart abgesehen, war der Bursche auf der Bühne richtig gut und mit einer verdammt ausdrucksstarken Mimik versehen. Allein ihm zuzusehen war eine wahre Freude! Keith Duncan, so sein Name, wahrlich eine coole Sau, die zudem noch sang und zwar von unten nach oben! Auch den griechischen Bassisten fand ich mit seinen Safariklammotten auf Dauer immer witziger und abgefahrener. Seine Mimik und seine statischen Bewegungen waren köstlich. Der Deutsche auf den Brettern stand den anderen in nichts nach. Auch er ein verrückter Vogel, der das Konzert mit den (auf englisch gesprochenen ) Worten ankündigte: "So, wir spielen jetzt den gleichen Kram wie immer!"

Da ich aber noch nie einem Konzert von The Chap beigewohnt hatte, wusste ich nicht, was sie normalerweise zm Besten geben und war überrascht, daß alles funkiger, poppiger und weniger elektronisch klang als angenommen. Auch der experimentelle Charakter hielt sich in Grenzen, was nicht bedeutete, daß hier dem herkömmlichen Strophe - Refrain - Strophe Schema gefolgt wurde, sondern lediglich, daß es markante und äußerst tanzbare Stücke mit Wiedererkennunsgwert gab. Verantwortlich dafür ist die neue Platte Mega Breakfast (2008), die dem hochgelobten Werk Ham (2005) folgte und mit fetzigen und hitträchtigen Songs wie Ethnic Instrument oder Fun And Interesting aufwarten kann. Auf jenem Machwerk gibt es auch das famose Proper Rock, das heute mächtig Staub aufwirbelte und die Mädels in den ersten Reihen ausrasten ließ. Die Stimmung wurde noch durch den abschließenden Einsatz von Geige und Violincello gesteigert und nun hielt es keinen mehr auf den nicht vorhandenen Sitzen, der Raum hatte sich eine veritable Tanzfläcke verwandelt!

The Chap hatten auf ganzer Linie abgeräumt und ihre Headlinerrolle eindrucksvoll bestätigt. Eine bärensatrke Liveband!


Links:

- Video Sam Amidon - Wild Bill Jones live. Wundervoll!

- Crystal Stilts - Departure Live @ Ribco
- Crystal Stilts - Prismatic Room, Videoclip
- The Chap - Fun & Interesting live , Proper Rock , stark!


* Verantwortlich für das tolle Programm waren die netten Mädels der Booking Agentur Summery Agency, die auch andere spannende Künstler wie Land Of Talk, die Papercuts, Pony Up, oder Ora Cogan (Eike vom Klienicum berichete erst kürzlich, hier: klick!) betreuen. Merci mille fois à Vanina, Céline, Marie-Anne, Zoé et Isabelle!!



3 Kommentare :

E. hat gesagt…

mein lieber freund, das ist eine riesen sauerei, mir mit samamidon dreimal hintereinander den mund wässrig zu machen!

Oliver Peel hat gesagt…

Tut mir Leid, Eike! Abgesehen davon, daß ich Sam zu einer Oliver Peel Sessions eingeladen habe (Antwort steht noch aus!), habe ich ihm gesagt, daß er unbedingt bald mal in Deutschland, am besten München und Umgebung, spielen soll...

E. hat gesagt…

na gut, das tröstet etwas!

 

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