Konzert: Maifeld Derby 2019
Ort: Maimarkt, Reitstadion
Datum: 14.06.-16.06.2019
Dauer: 3 Tage
Zuschauer: Sa.ausverkauft
Es war das Thema des Wochenendes. Die Ankündigung im nächsten Jahr eine Pause einzulegen, war Gesprächsthema Nummer 1 im sonnigen Mannheim.
Schon daran ist zu erkennen, wie wichtig diese Zäsur sein kann. In Gesprächen wurde deutlich, wie selbstverständlich viele Besucher eine solche Veranstaltung bewerten. Die Flut an Events und Großveranstaltungen lässt kaum doch einen Augenblick Zeit, hinter die Kulissen zu blicken, und ein Liebhaber-Event wie das Derby von anderen Globalplayern zu unterscheiden.
Fakt ist: durch den mutigen Schritt, mit Ehrlichkeit an die Probleme zu erinnern, ist eine längst fällige Diskussion (auch für viele andere kleine Festivals und Kulturveranstaltungen) in Gang gekommen, die nur gut sein kann.
Jetzt aber zum "üblichen" Teil. Wie war es ?
An den Stärken des Maifeld Derby wurde auch dieses Jahr zum Glück kaum etwas verändert. Tolles, abwechslungsreiches Booking, kurze Wege, interessanter Foodcourt und schönes Wetter sind ja schon mal eine Bank. Der Freitag startet dann nach kurzer Eingewöhnungsphase ("Wo gibts die leckeren Specialbiere ?") etwas launig mit einer Lesung von Linus Volkmann.
Ob das Maifeld Derby der richtige Ort ist, über Festivalklischees herzuziehen (Dosenravioli, Flunkyball) bleibt offen, ließ aber genug musikalische Luft nach oben. Die folgte dann gleich im Doppelpack: Gurr und Parcels, zwei gänzlich unterschiedliche Ansätze, Musik live zu präsentieren.
Die Damen von Gurr versuchen es mit Riot-Girrrl Faktor und kurzen, knappen, punkigen Songs auf der Fakelbühne. Ebenso erfolgreich sind aber auch die Parcels, (nach ihrem Minigig 2017) die zwischenzeitlich mit ihrem extrem poppigen Sound das Zelt schon am frühen Abend mit tanzwütigen füllen können.
Niklas Paschburg dageben ist der perfekte Gig am Parcour. Sphärische Klänge beim Sonnenuntergang, die spannende Mischung aus (fast) klassischer Musik und zeitgenössischer Elektronik, ist ja gerade ein großer Publikumsmagnet. Leider vernimmt man im Laufe des Auftritts aber immer öfter und lauter schlimme F.wörter.
Diese kommen natürlich nicht von Herrn Paschberg, sondern aus der Kehle des politisch interessierten eng. Duos Sleaford Mods, die uns die aktuelle Geschichte ihres Landes in nicht ganz politisch korrektem Jargon schildern. Wer glaubt, der Witz der Sleaford Mods sei lange schon erzählt, sieht sich getäuscht. Die Rauhe Energie und Dringlichkeit der Ereignisse machen diesen Auftritt unverzichtbar. Musik, die dieses England jetzt braucht, erzählt ohne Pathos und schleimige Melodiebögen.
Am Samstag sollte dieses Konzept mit Kate Tempest zum Höhepunkt des Festivals werden. Karies bieten danach ein schönen Rockentwurf in Kontrast zu den etwas langweilig wirkenden, weil zu perfekt arrangierten HotChip, was in Teilen auch auf HVOB zutraf. Hier wurde zu sehr ein, auf Festivalpublikum konzipiertes, basslastiges Feuerwerk geplant, das aber emotional leider nicht komplett überzeugen kann.
Der Samstag startet dann so richtig mit Mavi Phoenix. Immer noch frisch und innovativ, was die junge Österreicherin da bietet, auch bei strahlender Hitze bewegt sie die Körper vor der Bühne mühelos. Doch die wahre Großmeisterin der weiblichen Worte sollte bald folgen.
Kate Tempest betritt von einer Keyboarderin begleitet das Palastzelt und sofort ist die knisternde Spannung spürbar. Die Intensität ihrer Auftritte ist oft schwer auszuhalten und gerade auf einem Festival für viele eine echte Herausforderung. Doch ähnlich wie Sigur Ros, schafft sie es durch ihre herausragende Präsenz. selbst unkundige sofort zu fesseln und in ihren Bann zu ziehen.
Nach einigen alten Songs präsentiert sie das, erst am Tag zuvor veröffentlichte, neue Album "The Books of Traps and Lessons" in voller Länge. Ein nicht enden wollender Tornado aus Worten steigert sich mit immer härter werdenden elektronischen Sounds bis zum Höhepunkt bei "Holy Elixir". Aber erst dann folgt das Meisterstück.
Der letzte Song des Albums ist ihr bisher bestes, ein Mix aus Poem und hypnotischer Pianoballade. Ein Text, der auch endlich einmal einen Funken Hoffnung zulässt.
"People`s Faces": It’s hard, we got our heads down and our hackles up, Our backs against the wall, I can feel you aching, None of this was written in stone, There is nothing we’re forbidden to know, And I can feel things changing Even when I’m weak and I’m breaking, I’ll stand weeping at the train station, ‘Cause I can see your faces, There is so much peace to be found in people’s faces...
Danach fallen sich die beiden auf der Bühne in die Arme. Ein Kraftakt, der da jeden Abend aufgeführt werden muss und viele Tropfen fallen am späten Nachmittag bei den Zuhörern auf den Zeltboden, Schweiss war es diesmal nicht. Ein Ereignis.
Danach wirkte zunächst einiges blass für mich. Die Schotten von The Twilight Sad zum Beispiel, vielleicht auch weil sie eher in einen dunklen Keller als auf eine sonnen überflutete Open Air Bühne gehören.
Auch Baltharzar und der Crowdpleaser von wegen Lisbeth sind nicht mein Fall, daher erstmal einen leckeren Crepes mit hausgemachter Schokososse, serviert von echten Franzosen, klasse.
Mike Skinner (The Streets) schafft dann, was den beiden anderen Headlinern nicht gelingen wollte oder sollte. Einen Konsens. Spaß trifft auf anspruchsvolle Lyrik. Selbstironie und würdevolles Altern stehen gleichberechtigt nebeneinander und schon geht die Party richtig los. Bereits beim ersten Song taucht Skinner ein ins Publikum, es sollte nicht das letzte Mal bleiben. Insgesamt wirkt der Sound bei der Reuniontour etwas glatter und poppiger. Skinner redet (oder labert) in einer Tour, egal ob der Song startet oder die Band ihre Instrumente stimmt.
Nüchtern wirkt er hier, vielleicht sehe ich ihn so zum ersten Mal. Alle Hits werden abgefeuert, ebenso wie die ins Publikum fliegenden Sektkorken. Am Ende bewirbt er sich schon mal für die Steckenpferddressur 2021 und reitet mit einem geliehenen Pferd quer durchs Zelt in den Sonnenuntergang. Lucky Luke lässt grüssen.
Als großer Coup spielten gegen 16:00 Uhr bereits AMK einen Surprise Slot auf dem Parcour Amour Gelände. Ein toller Fang, der viele Besucher glücklich zurückließ.
Der Sonntag zieht einen das Derby jedes Jahr schon früh auf den Reitplatz. Die erste Fakelbühnenband ist meistens ein nicht zu verpassendes Geschenk des Bookers. Diesmal spielten die Amsterdamer der Mauskovic Dance Band zur Mittagszeit auf. Musikalisch nicht wirklich neu, aber durchaus tanzbar und ein guter Start in den Tag.
Stonefield und Snail Mail können dagegen nicht überzeugen. Die einen spielen unentspannten Rock ohne Erinnerungswert. Bei Snail Mail sind die Songs dagegen super, aber die ständig genervte und dadurch arrogant wirkende Frontfrau Lindsey Jordan hat sich seit dem letzten Jahr leider kaum verändert.
Ein Highlight dagegen die Postcards aus Beirut im kleinsten Zelt. Sympatischer Indie mit großen Song, da kommt bestimmt noch mehr. Danach ging es Schlag auf Schlag weiter.
Zunächst mit Kevin Morby, der eine 8-köpfige Bigband an den Start brachte, (incl. Tenor-Sax) um sein Album "Oh my god" würdevoll in Szene zu setzen. Ein fulminanter Set, der mich oft an Wilco erinnerte. Großartig und zurecht gefeiert.
Teenage Fanclub konnte später erstaunlicherweise nur wenige begeistern. Dies bescherte aber den, mir bis dahin völlig unbekannten, Schweizern von Black Sea Dahu eine riesige Menschenmenge auf dem Parcour, die am Ende mit stehenden Ovationen Zugaben forderten. Dabei war der, mit vielen sehr tragenden Balladen versehene Set, nicht einfach zu verdauen. Die Band trat sichtlich gerührt ab und verkaufte CD`s am Fließband vor der winzigen Bühne.
Danach leerte sich der Parcour zunächst, was Charlotte Brandi als langjährigen Profi nicht davon abhalten konnte, ein fabulöses Set aus ihrem traumhaften Album "The Magician" aufzuführen. Neben Kate Tempest für mich das beste Konzert des Wochenendes.
Tocotronic waren ebenfalls in bester Spiellaune, und da die neue Setlist fast nur aus Hits besteht, waren auf dem, nun staubigen Platz vor der Fakelbühne, nur grinsende Gesichter zu sehen. Die Band ist für mich seit letztem Jahr in absoluter Bestform, die Versionen von "Nach Bahrenfeld im Bus" und "Hey Freaks" bilden die perfekte Schnittmenge aus Tocos Werk zwischen Punk und intelligenter deutscher Popmusik.
Mit Faber betrat dann ein weiterer, sehr umstrittener Headliner das Palastzelt. Dazu gab es nur zwei Meinungen, echte Freude und echte Ablehnung.
Amyl and the Sniffers brachten den Abend dann mit einem ordentlichen Punkbrett nach Hause. Der letzte Tanz war getanzt, das letzte Bier getrunken.
Zurück blieb ein etwas mulmiges Gefühl. Wird man sich in diesem Rahmen in zwei Jahren wiedersehen ? Wenn man sich die Stimmung am Parcour ansieht, funktionieren dort viele Dinge, die auf den anderen Bühnen verpuffen.
Vielleicht wäre ein reines Newcomer-Festival mit zwei gleichen Bühnen nebeneinander am Parcour und einem kleinen Zelt ein gelungener Neuanfang.
Nur so eine Idee, als zum dritten Mal die Sonne hinter dem Palastzelt untergeht. Schön war es. Noch schöner wäre es 2021 wiederkommen zu dürfen.
Fotos: Michael Graef
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