Festival des Ensembles Baroque Orchestration X
meine Konzerte:
The Golden Glows (10 min)
Liesa van der Aa & B.O.X. (15 min)
Arne Leurenthrop & B.O.X. (15 min)
Dez Mona & B.O.X. (15 min)
Helga Davis, Shara Nova & B.O.X (20 min)
Pétur Ben (15min + 45 min)
Mugison (10 min + 45 min)
Anthony Romaniuk & Mads Brauer (30 min)
DAAU & B.O.X. (40 min)
Shara Nova (20 min)
Nocturnal (30 min)
Ort: Musiktheater deSingel in Antwerpen
Datum: 5. Januar 2018
Zuschauer: etwa 300
In meinem Jahresrückblick habe ich beklagt, dass mir einige Lieblingkünstler-Konzerte 2017 geplatzt sind. So habe ich nicht lange gezaudert: das Konzert von Shara Nova in Antwerpen werde ich sehen! Das Ensemble Baroque Orchestration X (B.O.X.) lädt für zwei Abende Mitstreiter (wie Shara) aus aller Welt in ein schönes Konzerthaus, um zusammen zu musizieren. Ganz mein Geschmack und dazu noch in der Weihnachtspause. Tatsächlich fühlte es sich wie ein unfassbar nettes Jahrgangsstufen-Treffen an... Zusätzliche Pluspunkte für mich waren, dass sich unter den "ehemaligen Klassenkameraden" auch einige Namen fanden, die mich ähnlich wie Shara anzogen: Efterklang, die Isländer Pétur Ben und Mugison, die ich 2016 in Reykjavík in Wahnsinnsform gesehen hatte und Valgeir Sigurðsson mit Liam Byrne, deren Auftritt 2015 in Island eine große positive Überraschung war.
Baroque heißt bei B.O.X., dass das Ensemble auf den Klang alter Musikinstrumente baut. Aber es führt Musik aller Epochen enthusiastisch und hoch professionell auf. Deshalb passt der Name miXmass auch so gut für das Festival. Leider passte er auch, weil es im Vorfeld schwer fiel, die verteilten Informationen zum Ablauf zusammen zu setzen. Oder die Orte im Programm mit den Orten, die es im Konzerthaus gab, in Deckung zu bringen. Da sich tatsächlich erst kurz vor 20 Uhr die Türen öffeneten, machte mich das etwas nervös. Aber mit Beginn löste sich das alles in Wohlgefallen auf. Die Besucher (alle Altersgruppen waren gekommen!) waren allesamt besonders freundlich und umsichtig und ich fand einen Platz, wo ich mir Notizen machen konnte und für die nächsten 6 Stunden auch so viel sitzen konnte, wie mir gut tat.
Der Abend begann mit einem Teil, der B.O.XXL genannt wurde: ein Estradenprogramm, wo die B.O.X. Ensemblemitglieder jeweils wenige Songs unterschiedlicher Projekte mit Künstlern präsentierten:
A Folksongbook: The Golden Glows
White Chalk: Liesa Van der Aa
Amnesiac: And They Spoke in Anthems
Sága: Dez Mona
You Us We All. Shara Nova & Helga Davis
The Loom of Mind: Pétur Ben & mugison
Was hier ein bissch verrückt und zerfasert klingt, ging als Konzept grandios auf. Die 90 min reihten sehr unterschiedliche Musikstile und Klangkosmen aneinander und bot mir diverse Höhepunkte. Es begann zunächst fast kammermusikalisch mit zwei Frauen- und einer Männerstimme. Dazu eine Gitarre. Schräger Folk, der dann im zweiten Stück durch B.O.X. unterstützt wurde und durch den Klang eines Blasinstrumentes etwas gespenstisches beigemischt bekam. Später lernte ich, dass es sich um ein Holzblasinstrument, das Cornetto handelte (das im Ansatz wie Blechblasinstrumente gespielt wird)
Für Liesa van der Aa wurde anschließend alles aufgeboten - ganz großes Kino - und auch die Sängerin war kraftvoll und fast rockig. Ich kann die Assoziation zu PJ Harvey, die Oliver in seinem Bericht schildert, sehr gut nachvollziehen. Ähnlich intensiv war auch das nachfolgende Projekt von Arne Leurentop, wenngleich die Intensität sich mehr als Innigkeit audrückte. Im ersten Stück schaffte es ein Geigentremolo über dem Gesangspart, mir die Tränen in die Augen zu drücken, während es im zweiten Stück die interessante Verknüpfung der altmusikalisch aufgefassten und instrumentierten Aria mit einer modernen Gesangsphrasierung war, die mich aufhorchen ließ.
Das nächste Projekt jagte das Publikum ganz schön durch die Lande. Es gab Anklänge an Tango - nicht zuletzt durch das benutzte Akkordeon (Roel Van Camp) schön gefärbt, aber auch Balkantöne klangen auf. Dann setzte gar ein schmachtender Kontertenor (Gregory Frateur grandios!) glanzvolle Akzente. Wiederum total anders, war schließlich die Barockoper You us we all. Die Musizierhaltung war hier klar barock, aber die Texte sehr heutig und wirklich witzig: "Dear Britney Spears, we have a lot of commonalities.. " Das war wunderbar verspielt, aber traf dann doch ins Schwarze. Ganz herrlich war neben der hinreißenden Shara auch die Stimme von Helga Davis, die mich im Sturm erobert hat. Was für eine Ausstrahlung!
Anschließend wurde es wieder poppiger mit den schon oben genannten Isländern. Ein Höhepunkt hier war ein herrlich besoffener Walzer und der Schlusspunkt von mugison als Hallenabrißversuch mit Ankündigung. Das erinnerte mich dann doch sehr wohlig an das Wahnsinnskonzert von 2016. Ein klares Votum dafür, unbedingt noch bis 1 Uhr für das Konzert von mugison zu bleiben!
Der Übergang zum angekündigten Surprise-Act war etwas unglücklich. Den meisten war wohl nicht aufgefallen, dass in der hinteren Ecke des Theatersaales alles vorbereitet war und man verließ den Raum auf der Suche nach der VOX-Bühne... Aber die Efterklang-Kollegen Casper Clausen & Rasmus Stolberg wußten natürlich, dass nun Anthony Romaniuk (B.O.X. - Tastenmann) & Mads Brauer (Efterklang-Soundtüftler) hier etwas vorhatten. Was fast als Privatkonzert für uns Handvoll begonnen hatte, fand jedoch über die Zeit immer mehr Zuhörer (wahrscheinlich fanden uns die suchenden Zuschauer...).
Die Idee war eigentlich denkbar einfach. Anthony nahm sich Repertoire-Stücke für Klavier (Bach, Bartok und Schostakovich konnte ich zuordnen) her und wandelte sie sich an bzw. verfremdete das mir so wohlvertraute. Dazu lieferte Mads sehr zurückhaltende elektronische Töne und es war wie eine Zwiesprache zwischen einem extrovertierten Pianisten und einen introvertierten Computernerd. Zum Teil war es wie zerfleddern, aber es war unfassbar interessant und für mich zum Teil sehr, sehr lustig.
Auf der großen Bühne hatten sich derweilen DAAU (Die Anarchistische Abendunterhaltung) alles aufgebaut, was sie so brauchte. Es gab wieder das ganze Ensemble und die Musik war zunächst sehr sphärisch. Im Vergleich zum Eingangskonzert fehlte der Gesang, aber auch hier fiel mir wieder dieses Blasinstrument auf, das mit seinem Klang so sehnsuchtsvoll durchs Mark geht. Aber so "zahm" blieb es nicht. Es wurde sogar recht temperamentvoll mit Balkan-Anklängen und der im Programm "versprochene" Punk klang für mich ein wenig wie Musik für die Globolinks.
Inzwischen war es 23:00 Uhr und Zeit für meinen privaten Höhepunkt des Abend. Shara Nova ließ sich von vier Musikern des B.O.X. begleiteh: Harfe, Klavier, Cornetto(!) und Vioal da Gamba. Dafür hatte sie ein paar Tage zuvor Musik brandneu arrangiert. Zum Teil auch neue Musik mitgebracht - was für eine Freude! Man spürte während des ganzen Konzertes, dass alle einen totalen Spaß hatten. Schon das erste Stück beantwortete mir dann auch die Frage, ob ich mir vielleicht doch zu große Hoffnungen gemacht hatte: Sharas Stimme gepaart mit ihrer Ausstrahlung nahm das Publikum vom ersten Moment an total gefangen und entführte uns alle in den Himmel (ups, falsches Fest!).
Anschließend hatte sie uns ein neues Lied Chance mitgebracht. Mir gefiel die filigrane Begleitung, die den Fokus sehr auf ihre Stimme legte, aber auch Platz für vielfältige Farben fand. Zuletzt hatte ich sie ja mit ordentlich Bums erlebt - das war nun etwas ganz anderes. Auch so ein wohlbekanntes Stück wie If I were queen von A tousand shark's teeth konnte so wunderbar neu glitzern und schillern.
Nach dem ersten Stück war wohl das nächste neue und sehr melancholische Lied One million perls mein ganz privates Superhighlight - wirklich Gänsehaut pur. Wobei das Motto für das (leider kurze aber sehr, sehr intensive Set) vom letzten Stück ausgesprochen wurde: Love goes through and through. Anschließend schrieb ich eine Nachricht, dass ich wohl mein schönstes Konzerterlebnis für 2018 gerade schon erlebt hätte...
Nachdem sich auf der kleinen Bühne fünf Personen mit einer Harfe und einem Klavier etwas kuschlig gefühlt haben dürften, stand anschließend Pétur Ben (Pétur Þór Benediktsson) mit seiner Gitarre ganz allein auf der großen Bühne und das war ein so krasser Gegensatz, dass ich mich schon fragte, welche Gründe es dafür wohl gab. Der Isländer hatte sich mit seiner Platte Wine for my weekness (2008) in mein Herz gespielt und war anschließend von meinem musikalischen Horizont gekippt. Von mir unbemerkt hatte er 2012 ein Album veröffentlicht God's lonely man und Soundtracks für Ragnar Bragason's Filme gemacht (z.B. Metalhead). Beim 2016er Airwaves waren wir uns wieder begegnet und die druckvolle Livevorstellung dort hatte mich extrem kalt erwischt, aber mir auch sehr gefallen.
In Antwerpen war er allerding nur auf sich und seine Gitarre angewiesen. Er spielte einige Stücke, die ich auch in Reykjavík gehört hatte, wie Painted Blue und Skinny Girl. Außerdem ist mir ein Klassiker von Iggy Pop Search & Destroy im Gedächtnis geblieben. Selbst mit diesen sehr sparsamen musikalischen Mitteln riß er mir das Herz aus. Wie macht er das nur? Schließlich beantwortete sich auch die Frage nach der großen Bühne: Für die letzen 15 Minuten bat er die Sängerinnen des Kórus auf die Bühne. Wie in Reykjavík fand ich die zwei Stücke Warehouse in the sky und Lonesome like me sehr, sehr eindrucksvoll. Ich bin auf das Konzert von Kórus am zweiten Festivaltag nun sehr gespannt.
Bevor es mit mugison zum letzten Konzert auf der großen Bühne ging, war nach Pétur Ben noch eine halbe Stunde Raum, für die ich mich noch nicht zwischen unterschiedlichen Angeboten entschieden hatte. Im Vorbeigehen fing mich das Konzert Nocturnal ein mit Jon Birdsong am Kornett & Anthony Romaniuk am Flügel. Vielleicht war der Pianist tatsächlich der meistbeschäftigte Mann des ersten Tages... Jedenfalls boten die beiden sehr zauberhafte Nachtmusik. Zum Teil dezent und dunkel, zum Teil auch aufbegehrend und frech, aber alles mit einer wunderbaren Spielfreude. Besonderen Spaß machte es Anthony, als das Kornett durch Blasen kurz über den Flügelsaiten diese zum schwingen brachte. Dafür sollten wir alle unbedingt so nah wie möglich herankommen.
Der Abschluss mit mugison begann - wie alle Programmpunkte - pünktlich. Aber er wurde nicht ganz so, wie ich es mir nach dem XXL-Konzert erwartet hatte. Alle - inkl. mugison - waren doch etwas müde. Trotzdem war es ein toller Abschluss zunächst solo und später mit Pétur. Ich fand es irgendwie rührend zu sehen, wie die Spannung sichtbar von Pieter Theuns abfiel und er ein ganz inniges - dabei mehr oder weniger wortloses - Lob von Casper Clausen erhielt. Ja, das hier hatten sie echt toll hingekriegt.
B.O.X.:
Pieter Theuns (Theorbe), Anthony Romaniuk (Cembalo, Orgelpositiv), Bart Vroomen (Barockposaune), Ira Givol (Viola da gamba), Jon Birdsong (Cornetto, Trompete), Joshua Cheatham (Viola da gamba, Violone), Jutta Troch (Barockharfe), Lambert Colson (Cornetto), Liam Byrne (Viola da gamba, Soprangambe), Mattijs Vanderleen (Schlagwerk) en Pieter Vandeveire (Viola da gamba).
Aus unserem Archiv:
Liesa van der Aa, Saint Ouen, 27.01.13
My Brightest Diamond, Paris, 13.02.15
My Brightest Diamond, Haldern, 08.08.14
My Brightest Diamond, Eindhoven, 07.02.14
My Brightest Diamond, Straßburg, 30.03.12
My Brightest Diamond, Paris, 28.03.12
My Brightest Diamond, Berlin, 24.11.11
My Brightest Diamond, Haldern, 13.08.11
My Brightest Diamond, Paris, 07.10.08
My Brightest Diamond, Haldern, 08.08.08
My Brightest Diamond, Evreux, 27.06.08
My Brightest Diamond, Paris, 22.04.08
My Brightest Diamond, Paris, 02.10.07
My Brightest Diamond, Paris, 26.02.07
Pétur Ben, Reykjavik, 02.11.16
Mugison, Reykjavik, 04.11.16
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