Dienstag, 16. Juni 2009

Soap & Skin, Paris, 15.06.09


Konzert: Soap & Skin
Ort: Maison de la Radio France, Studio 105, Blacksession chez France Inter, C'est Lenoir
Datum: 15.06.2009
Zuschauer: alle Plätzchen belegt
Konzertdauer: zwischen 45 und 50 Minuten



"Verflixt, das schaffe ich nicht mehr!", denke ich verzweifelt und fluche innerlich. Es regnet in Strömen, ich bin pitschnass und meine Armbanduhr zeigt 21 Uhr 50 an. Zu den Radiostudios von France Inter ist es von meinem Standort aus noch ein ganzes Stück, in 10 Minuten ist das niemals zu bewältigen. Dummerweise fangen sie dort nämlich ganz pünktlich an, weil die Session live gesendet wird.

Was tun? Wie ein begossener Pudel wieder nach Hause latschen? - Nein, kommt nicht in die Tüte! Aufgegeben wird nur ein Brief! Ich brauche einen Bus, sofort! Aber die Anzeigetafel verkündet als Wartezeit deprimierende 17 Minuten...

Ein Taxi, genau, ich brauche ein Taxi! Warum kommt denn hier keins, wenn ich es dringend brauche? Innerlich schreibe ich die Blacksession mit der Österreicherin Soap & Skin schon ab, da kommt plötzlich und unverhofft doch noch ein Wagen mit erleuchtetem Schild vorbei, der mich gegen Entgelt flugs zum Zielort fährt. Der Taxi fahrer scheint zunächst nett, entpuppt sich dann aber als Rassist. "Hip Hop ist fürchterlich!", flucht er und ich stimme ihm noch zu, dann aber vergreift er sich im Ton und hetzt gegen die Schwarzen und behauptet, sie würden mit ihrer Musik die Kriminalität befeuern und ähnlichen, noch wesentlich haarsträubenderen Käse. Mir kommt der Spruch von Roger Willemsen in den Sinn und ich würde in der Tat gerne 6 Sorten Scheiße aus dem Taxifahrer rausprügeln. Ich belasse es aber bei der Faust in der Tasche und haste am Radiosender angekommen die Treppenstufen hoch, um um 22 Uhr 01 im Studio 105 einzutreffen. Puh! Es laufen wie immer um diese Uhrzeit die Nachrichten, bevor es fünf Minuten später hell wird und Moderator Bernard Lenoir die Künstlerin des heutigen Abends vorstellt. Er faselt etwas von "Frissons", also einer Gänsehaut, die uns gleich sicherlich den Rücken runterlaufen werde, in der letzten Session (man ist inzwischen bei Nummer 301!) vor den langen Sommerferien. Er erwähnt Biografisches, schildert ihren musikalischen Werdegang, berichtet, daß sie jung mit dem Pianospielen angefangen habe, aber auch an der Geige ausgebildet sei. Ihre Hinwendung zur Kunst erklärt er mit ihrer Herkunft aus einem ländlichen Raum, eine interessante These: Musik machen, um der provinziellen Heimat zu entfliehen. Dann ruft er sie aus der Kabine, Anja Plaschg alias Soap & Skin.

Die spindeldürre junge Frau tritt an ihr Piano, auf dem ein aufgeklapptes Laptop steht und legt los, ohne sich vorzustellen oder "bonsoir" zu sagen. Sie wird den ganzen Abend schweigen, sich kein einziges Mal an das Publikum wenden und sich am Ende auch nicht verabschieden. Es ist geradezu gespenstisch ruhig zwischen den einzelnen Liedern, die Künstlerin sehe ich aus meiner Position nur von hinten und ihr Piano ist so aufgestellt, daß ihr Gesicht auf eine Wand ausgerichtet ist. Sie will ihr sicherlich hübsches Antlitz nicht zeigen, soviel scheint klar, denn auch in einer der beiden einzigen Szenen, in denen sie ihr Klavier verlässt, ist es entweder dunkel, oder sie performt vor der hinteren Studiowand, wo man nur ihre Umrisse klar erkennen kann.

Nur ein einziges Mal entfährt ihr ein kurzes "merci beaucoup" ansonsten ist das Ritual immer das Gleiche: Sie spielt mit Inbrunst Lieder voller Schmerz, Leidenschaft und Schönheit und greift hinterher zu ihrer Wasserflasche, bevor sie jeweils mit einem kurzen Klick ihr auf dem Klavier stehendes Laptop in Gang setzt und punktgenau zu den gesampelten Sequenzen klimpert. Ihre Performance ist beeindruckend, das zierliche Persönchen haut manchmal regelrecht in die Tasten und ihre Stimme ist mal brummelig, mal glockenklar. Sie dehnt die Silben sekundenlang, ganz ähnlich wie ein Jónsi Birgisson von Sigur Ros das tut. Während des Auftritts kommt mir der Begriff Post Piano Punk in den Sinn, denn zum einen gibt es gewisse Parallele zum Brechtschen Punk Cabaret der Dresden Dolls, zum anderen eine melodramatische, postrockige Seite, in der nach sanften Phasen oft der ekstatische Ausbruch folgt. Ihre Stimme berührt mich auf Anhieb, sie geht mir regelrecht durch Mark und Bein! Ich bin weitestgehend unvorbelastet in dieses Konzert gegangen, habe keine Kritiken oder Berichte in Musikzeitschriften gelesen. Nur das ein gewisser Rummel um das Talent gemacht wird, ist auch mir nicht entgangen. Ich mache mir ohnehin lieber mein eigenes Bild und will wissen, wie der jeweilige Künstler auf mich wirkt. Und die Wirkung ist wirklich gewaltig, vor allem da wir uns in einem rechts sterilen Radiostudio befinden, wo ansonsten die Emotionen eher gering sind Und trotzdem schafft es die junge Österreicherin, mich zu elektrisieren und in ihren Bann zu ziehen. Woran erinnert mich das Ganze? Mir schießen Referenzen in den Kopf, die mehr oder weniger das musikalische Spektrum von Soap & Skin umreißen, ohne es aber punktgenau zu erfassen, dafür ist ihr Stil doch zu eigen. Kate Bush könnte man nennen, Björk natürlich, Cat Power für das mitunter Samtweiche in der Stimme, Coco Rosie für die feenhafte Fantasiewelt, Scout Niblett für das Wilde, Durchgeknallte, die famosen Dänen Under Byen für das Dramatische, Sigur Ros für den Pathos, etc.

Aber wichtiger als Referenzen singt gute Songs und die gibt es zuhauf! Sie heißen The Sun, Mr Gaunt 1000 (hinreißend das Pianospiel, herzerweichend die gesampelten Geigen). Fall Foliage (der greinende, nahegehende Gesang, die verhallende Stimme) und vor allem Spiracle. Dieses Spiracle lässt mir wirklich das Blut in den Adern stocken, so traurig, so düster, so ergreifend ist es. "When I was a child" beginnt dieser schaurig-schöne Schocker und wenn Anja "Please help me" wispert, fühle ich ihn, den Gloß im Hals. Und dann rastet sie aus, schreit rum, davon hatte ich voher ansatzweise etwas aufgeschnappt, aber das Ganze trifft mich dennoch mit voller Wucht!

Gegen Ende gibt es auch noch etwas für Liebhaber von Thatralik: Soap & Skin verlässt nämlich plötzlich ihr Piano, trippelt die Treppenstufen an den Zuschauern vorbei hoch und macht einen Gesichtsausdruck, als sei ihr das Croissant heute morgen nicht gut bekommen. Ob ihr schlecht ist? - Nein, natürlich nicht, das gehört zur Show! Dann stackst sie die Stufen wieder runter und klimpert weiter auf ihrem Klavier. Beim allerletzten Lied rennt sie an die rückwärtige Studiowand und bewegt sich zu pluckernden Klängen fast wie eine robotorisierte Puppe, bevor sie wortlos in die Dunkelheit der Kabine entschwindet.

Ergreifend! Genau mein Wetter, düster und gespenstisch. Wir sehen uns in Haldern , Anja!


Pour nos lecteurs français:

Bernard Lenoir a introduit Anja Plaschg alias Soap & Skin en mentionnant les frissons que cette jeune artiste allait nous procurer et il n'a pas exagéré. Des frissons j'en ai eu, c'est sûr! Cette jeune fille, fragile et surdouée m'a complètement épaté avec ces chansons sombres, melancoliques et belles à pleurer. Sa voix, extraordinnairement malléable, à la fois crystalline et douce, puis subitement stridente, m'a fait penser à une sorte d'équivalent féminin de Jonsi "Sigur Rós" Birgisson et son style est un mélange entre la chanson, le folk et surtout le postrock, façonné d'une manière électronique à l'aide son laptop. C'est prétentieux et innovateur, même s'il y a des parallèles avec d'autres artistes comme Björk, Bat For Lashes, Cat Power ou emcore Coco Rosie. Dans une ambiance sombre et glaciale, Anja, qui n'a jamais adressé la parole au public a préféré laisser parler sa voix, son piano et son laptop (qui lui permet d'inviter tout un orchestre classique à l'accompagner) au lieu de raconter des anecdotes sur sa vie .

Vers la fin elle quitta son piano pour gravir tel un somnambule les marches du studio, avant de revenir s'asseoir derrière son instrument. Pour sa dernière chanson , elle se leva de nouveau et déambula devant le mur blanc telle une silhouette et on pouvait par moment voir enfin le beau visage de cette artiste issue d'une formation musicale classique.

Livevideo de Rockerparis: Soap & Skin chez France Inter, Black Session, Paris


4 Kommentare :

Christoph hat gesagt…

Das klingt sehr vielversprechend! Aber auch ein wenig befremdlich.

Die CD Verpackung ist übrigens auch ein wenig ungewöhnlich. Das Plastikgehäuse steckt in einer Papphülle, in der INNEN die Texte der Lieder sind. Wenn man die also lesen will, muß man diesen Pappschuber aufreißen. Bei der Platte ist das auch so.

Christina hat gesagt…

Der Begriff "Post Piano Punk" gefällt mir. Das klingt in der Tat vielversprechend :) Ich habe mich mit der Dame noch nicht näher beschäftigt, besitze aber seit letzter Woche ein Ticket für ihr Konzert in Köln und hoffe ebenfalls, das ganz unvoreingenommen besuchen zu können ;)

Tolle Fotos übrigens!

Valerie hat gesagt…

Cannot understand a word of german but this gig was amazing and the pictures capture really well the atmosphere of yesterday's night.

Oliver Peel hat gesagt…

Yes,it was really amazing!

 

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