Datum:9.11.2006
Location: Bataclan, Paris
Zuschauer: ausverkauft
Als ich um 21 Uhr 5 die schwarze Eingangstür zum Konzertraum eindrückte, traute ich meinen Augen kaum. Das Konzert von Sufjan Stevens war bereits in vollem Gange. Ich schaute mich etwas verdutzt um und konnte ein relativ gesetztes Publikum ausmachen. Das gesetzt bezog sich hier aber nicht nur auf das Alter der Zuschauer, sondern auf die Tatsache, daß entgegen sonstiger Gewohnheiten im Bataclan der Raum vor der Bühne komplett bestuhlt war. Das dumme daran war, daß alle Stühle restlos besetzt waren. Ich mußte das Konzert folglich im Stehen bestreiten. Vielleicht lag es daran, daß meine Laune zunächst ziemlich gedämpft war. Auch ein Blick auf die Bühne brachte mich kaum zum Schmunzeln. Dabei hätte es hierzu Anlaß gegeben, denn Sufjan hatte Adlerflügel von einem Kinderdrachen auf seinen Rücken gespannt und die neun anderen Musiker hatten, wenn ich das richtig erkannte, Schmetterlingsflügel umgebunden. 'Finden die das etwas komisch?', dachte ich mir, immer noch etwas angesäuert. Als dann Herr Stevens in etwa zehn geschlagene Minuten lang, Erlebnisse von einem Sommercamp aus der Jugendzeit berichtete, war meine Geduld schon fast aufgebraucht. Ich kam mir vor, als sei ich Zeuge eines Abschlussballs einer Ivy-League Uni. Ach, was sind die jungen Leute talentiert, was spielen sie so herzallerliebst. Eltern wären mit Sicherheit stolz auf ihre musizierenden Kinder gewesen. Nach dem circa. dritten Titel, "John Wayne Gacy, Jr.", konnte ich aber gar nicht anders , als aus meinem Schmollwinkel rauszukommen. Wie der junge Amerikaner da die ersten Songzeilen "His father was a drinker, and his mother cried in bed" anstimmte, war dermaßen anrührend, daß einem das Herz fast überlief. Zudem war das Ganze so fabelhaft instrumentiert, daß man nur noch mit geöffnetem Mund dasitzen konnte. Die nächsten Lieder unterstrichen diesen Eindruck nur noch deutlicher. Sufjan Stevens machte mit seiner Stimme, was er wollte. Mal sang er samtweich und sentimental, dann wieder eunuchenhaft hoch, oder auch mal wimmernd und weinerlich. Verblüffend dabei war, daß er stimmlich immer äußerst stabil war. Da war kein einziger Wackler drin. So was habe ich zuletzt nur von Morrissey gesehen. Ein Höhepunkt in der Mitte des Sets war mit Sicherheit ein ganz neuer Titel über einen Vogel, ... "Snow bird". Hier zeigten die zahlreichen Trompeter, Hörnbläser, Streicher etc. und natürlich Sufjan selbst, der übrigens zahlreiche Instrumente beherrscht, ihr ganzes Können. Ein echter Hörgenuss und auch was fürs Auge, denn sämtliche Titel wurden visuell mittels einer Leinwand sehr schön unterstrichen. Auch einen Weihnachtstitel hatte die Band im Gepäck und auch dieser fand großen Anklang. Abgeschlossen wurde das Konzert erwartungsgemäß von Chicago, diesmal schon wieder in einer neuen Version. Die Musiker verließen kurz die Bühne und bekamen die völlig verdiente standing ovation. Sehr gerührt kam Sufjan zurück und mit Tränen in den Augen sagte er, er hoffe, daß das Konzert ein wenig gefallen hätte, trotz der merkwürdigen und etwas langen Geschichten, die er erzählt hatte. Ein wenig gefallen? Warum die falsche Bescheidenheit? Es war schlichtweg grandios, ganz ganz fabelhaft!!! Man kann ein solches Multitalent vielleicht nervig finden, das ändert aber herzlich wenig an der herausragenden musikalischen Qualität dieses Ausnahmemusikers. So und nun bestellt sofort Karten für seine Konzerte, sonst verpasst Ihr was!!
von Oliver
von Oliver
2 Kommentare :
Großartig! Heute ist er in Köln (morgen hier nachzulesen).
Wie immer gläzende Links, insbesondere derjenige zum Sommercamp.
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