Konzert: Motorama
Ort: Rockhal, Esch-sur-Alzette
Datum: 11.02.2015
Dauer: Motorama 65 min, The Spectors gut 30 min
Zuschauer: 50 - 60
Wenn mir jemand Ende der 80er Jahre gesagt hätte, eine meiner Lieblingsbands 25 Jahre später komme aus Russland, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Russland war damals an der Schwelle der großen Umbrüche im Osten für den Indiemusikhörer im Rheinland eine fremde Welt, wie sie fremder nicht sein konnte. Heute tragen die russischen Militärflugzeuge zwar wieder den roten Stern, ist die Hymne Russlands wieder die zwischenzeitlich ersetzte sowjetische, die Öffnung des Landes und der Kultur der letzten zweieinhalb Jahrzehnte hat dies aber nicht rückgängig gemacht.
Daß Motorama westeuropäische Musikeinflüsse haben, ist unverkennbar. Sie verbinden diese aber mit einer sehr eigenen Note, bilde ich mir ein. Aber nicht das macht die Faszination der Musik der Band aus Rostow am Don aus. Ich mag Motorama nicht wegen der für Indiemusik exotischen Herkunft, ich mag Motorama wegen der grandiosen Platten und der wundervollen Konzerte!
Als der erste Abschnitt der Europatour* angekündigt wurde, war die Rockhal in Esch in Luxemburg dabei mit einem neuen, kleinen Saal. Bisher hatte das Konzertzentrum mit der großen Halle (für Bands wie Indochine oder die Pixies), dem kleineren Saal (Get Well Soon oder Morrissey) und dem Café (Showcases) drei mir bekannte Auftrittsorte. Der Club im ersten Stock, der vermutlich 100 bis 150 Zuschauern Platz bietet, füllt damit eine Lücke.
Als ich zwanzig Minuten vor Beginn der Hauptgruppe ankam, waren erst vier andere Gäste da. Ich hatte eine kurze Beschreibung des Supportacts gelesen und war so neugierig geworden, daß ich The Spectors aus Belgien nicht verpassen wollte. Als die fünfköpfige Band ihr Konzert begann, waren etwa 50 Zuschauer im Saal, einige ganz offensichtlich Freunde der Musiker. Meine Neugierde kam auf ihre Kosten, das halbstündige Set der Spectors gefiel mir sehr gut. Ich kannte vorher kein Lied, hatte nur gelesen, daß es sich um eine Shoegaze / Dream Pop Gruppe handele, die Twin Peaks mag. So was reicht locker, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen.!
The Spectors kommen aus Flamen und bestehen aus Sängerin und Bassistin Marieke Hutsebaut, Keyboarderin Hannah Vandenbussche, den beiden Gitarristen Emiel van den Abbeele und Maxiem Charlier und Schlagzeugerin Stefanie Mannaerts. Als ich im Booklet meiner nach dem Konzert gekauften Debüt-CD nach den Namen guckte, stieß ich auf "additional synth parts on several songs" und "produced by Chris Urbanowicz"! Der Ex-Editors Keyboarder, nach dessen Ausstieg ("In a decision entirely based upon future musical direction")** meine ehemalige Lieblingsband leider schlecht wurde, hat offenbar einen guten Geschmack. The Spectors sind etwas fröhlicher als Best Coast, etwas weniger rockig als La Sera und verfügen jetzt schon über eine ganze Menge toller Songs. Die Band wurde vor genau zwei Jahren gegründet und spielte heute ihr erstes Konzert außerhalb Belgiens.
Mir gefiel Green-eyed monster am besten, ein herrlich düsteres Lied, in dem viel gestorben wird. Sehr lustig war der Refrain bei One-eighty, der dem von There is a light that never goes out glich. Auch da beweisen die Belgier Geschmack! Ein tolles halbstündiges Set, das mir die erste aufregende neue Band des Jahres beschert! Die möchte ich gerne wiedersehen!
Setlist The Spectors, Rockhal, Esch-sur-Alzette:
01: Like sand
02: One-eighty
03: Ariel
04: Green-eyed monster
05: Nico
06: Light stays close
07: Drone
08: Flakey
Viel voller war es nicht geworden, als Motorama um halb zehn die Bühne betraten. Kurz vor Beginn des Konzerts hatte ich erfahren, daß Bassistin Irene*** Parshina in Paris nicht mehr dabei gewesen sei. Sie und Sänger Vladislav werden Eltern. Daß die Bassistin nicht mehr dabei sein könnte, hatte ich jetzt aber noch nicht erwartet. Stattdessen habe ihr Mann in Paris Bass gespielt, hieß es. So war es natürlich auch bei uns. Motorama sind aktuell als Liveband nur noch zu viert, neu war mir dabei der Schlagzeuger. Vlad begann am Bass, statt zweier Gitarren gab es dadurch nur noch eine. Daß ich den Anfang des Konzerts bei weitem nicht so gut wie meine bisherigen fand, lag aber nicht daran, es lag an der miesen Abmischung. Ich bin wirklich keine Misch- und Sound-Experte, daß Keyboard, Bass und vor allem das Schlagzeug viel zu laut waren, lag aber vermutlich nicht nur an meinem Platz vorne neben der Box. Irgendwann zog es mich nach hinten zum Mischpult (was ich nie mache), aber auch da stimmten die Verhältnisse der Instrumente zu einander nicht. Der Mischer ging zigmal (wörtlich!) nach vorne, um seine Einstellungsänderungen zu kontrollieren, war aber offenbar auch unzufrieden mit den Ergebnissen.
Ob mir die zweite Gitarre nur gefehlt hat, weil die erste zu leise war, kann ich nicht beurteilen. Die Instrumente klangen oft isoliert, nicht harmonisch zusammen. Ich denke, daß das zu laute Keyboard das Hauptproblem dabei war. Aber selbst ein für Motorama schlechteres Konzert ist immer noch besser als die meisten anderen.
Motorama spielten trotz ihres mittlerweile großen Repertoires alle Lieder des neuen Albums Poverty, das kürzlich bei Talitres erschienen ist. Die neue Platte gefiel mir zwar direkt, ich empfand sie aber als schlechter als die beiden Vorgänger. Je häufiger ich Poverty höre, je lieber mag ich das Album! Alleine dieses wundervoll monotone Write to me am Schluß - wow! Wenn ich mir überlege, wie viele Bands in den letzten dreißig Jahren das Etikett Joy Division an den Hut gesteckt bekommen haben. Und da kommen ein paar Musiker aus Rostow und hauen Stücke wie diese raus, die klingen, als hätten Motorama den Post-punk erfunden. Write to me sang Vladislav in zwei Mikros, wenn ich das von ganz hinten richtig gesehen habe. Die Gitarre lag am Boden, Maxim Polivanow spielte wie bei drei, vier anderen Liedern Bass.
Weil alle Lieder von Poverty und auch eine B-Seite (Special day) und nicht-Album-Singles gespielt wurden, blieb wenig Raum für die beiden ersten vorzüglichen Alben. Warm eyelids, Young river oder der heimliche Liebling There's no hunters here fehlten mir. Aber vielleicht beim nächsten Mal. Samstag.
Setlist Motorama, Rockhal, Esch-sur-Alzette:
01: Impractical advice
02: Corona
03: To the south
04: Dispersed energy
05: She is there
06: Red Drop
07: Heavy wave
08: Lottery
09: Rose in the vase
10: Old
11: Similar way
12: Special day
13: Ghost
14: Alps
15: During the years
16: Write to me
17: Eyes (Z)
18: Scars (Z)
Links:
- aus unserem Archiv:
- Motorama, Frankfurt, 03.06.14
- Motorama, Luxemburg, 26.02.14
- Motorama, Paris, 13.12.13
- Motorama, Köln, 25.09.13
- Motorama, Paris, 19.09.13
- Motorama, Wiesbaden, 06.03.13
- Motorama, Wiesbaden, 06.03.13
- Motorama, Esslingen, 05.03.13
- Motorama, Paris, 25.02.13
- Motorama, Paris, 27.11.12
* "Europa" im Konzertjargon entspricht nicht Europa im politischen oder geographischen Sinne
** Wikipedia
*** die Schreibweise ihres Labels
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