Konzert: Razorlight (Housse De Racket)
Ort: Le Bataclan, Paris
Datum: 30.11.2008
Zuschauer: nicht ganz ausverkauft, aber letztlich doch sehr gut besucht
Konzertdauer: ca. 95 Minuten
"Je déteste Razorlight" ("ich hasse Razorlight") oder freundlicher ausgedrückt "je n'aime pas Razorlight" ("ich mag die nicht"), solche und ähnliche Sprüche hatte ich von französischen Indiemusikfans in letzter Zeit desöfteren gehört.
Nachdem der britische NME nun schon seit Jahren über die Band von Johnny Borrell herzieht und in letzter Zeit auch viele andere Musikmagazine das neue Album verrissen haben, rücken nun auch verstärkt Indie-und Britpophörer von Razorlight ab. Warum eigentlich? Sind die wirklich so mainstreamlastig und kommerziell geworden, daß niemand, der etwas auf seinen guten Musikgeschmack gibt, lobende Worte für die englisch-schwedische Formation findet?
Liegt es vielleicht am neidisch machenden Erfolg von Razorlight, die schließlich nicht nur viele CDs verkaufen, sondern auch bereits erster Headliner beim renommiertesten (wenn man mal von Glastonbury absieht) britischen Festival in Leeds/Reading waren? Oder daran, daß Johnny Borrell wirklich der arrogante Kotzbrocken ist, zu den ihn die Musikpresse macht?
Langsam begann selbst ich, der auch auf dieser Musikseite Razorlight immer verteidigt hat, leise Zweifel zu bekommen. Vielleicht sind die ja wirklich so scheiße und ich habe es bloß noch nicht gerafft? Und dann auch noch dieser schwächelnde Vorverkauf mit dem beängstigenden Bulletin bei MySpace, wo der Konzertveranstalter Alias ganz kurz vor dem Konzerttermin noch eine Aktion veranstaltete, bei der man beim Kauf von zwei Karten nur eine einzige bezahlen musste. Kein gutes Zeichen für reißenden Absatz so etwas! Auweia!...
Meine Erwartungshaltung war dementsprechedn gedämpft, wohlwissend, daß mich Razorlight bei den vielen Konzerten, die ich von ihenn gesehen habe, noch nie enttäuscht hatten.
Als ich vor dem Bataclan ankam, war dann auch konsequenterweise nicht allzuviel los. Schwarzhändler versuchten zu deutlich gedrückten Preisen, noch Ticktes loszuschlagen, was ihnen gar nicht so leicht fiel. Ich versuchte diesen Umstand zu verdrängen und ging rein. Pünktlich um 20 Uhr legten dann gleich meine Pariser Bekannten Housse De Racket los. Seitdem ich die Jungs mit ihren Schirmkappen und Lacoste- Polos zum ersten Mal bei Rock en Seine gesehen hatte, fand ich die witzig und unterhaltsam und die Musik catchy und eingängig obendrauf. Mir war sofort klar, daß man bei der Band, die sich über den Tennissport und seine Eigenheiten lustig macht, nicht alles allzu Ernst nehmen darf. Hier gilt es vieles mit dem zwinkernden Auge zu betrachten, was allerdings nicht heißt, daß die Musiker technisch nichts draufhätten. Unterhaltung und spielerisches Können müssen sich ja keinsewegs zwangsläufig ausschließen und so bekam ich heute wieder eine köstliche Tennissstunde von Piere und... erteilt. Die beiden Jungs, die von einer ursprünglich 5 Mann starken Band übrig geblieben sind, mischten gekonnt, Pop mit einem Hauch French Touch, Elektromusik im Stile ihrer Landsleute von Daft Punk, und Rock zu einem explosiven Cocktail, der dem Publikum auf Anhieb gefiel. Selten erlebt man, daß im Bataclan Leute bei der Vorgruppe mitklatschen, aber heute war dies der Fall, was eindeutig für die Band, die traditionell ganz in weiß erschien, spricht. Ihre Titel, ebenfalls vom Tennis inspiriert, hießen u.a. Forty Love, Oh Yeah!, oder auch Synthétiseur, mit dem sie ein erfrischendes Set nach circa einer halben Stunde abschlossen. Man muss die beiden Jungs, die zur Zeit mit Razorlight durch ganz Frankreich touren, im Auge behalten!
Im Auge hielt ich persönlich in der darauffolgenden Pause die zahlreichen hübschen Girlies im Publikum. Wenigstens die sind Razorlight also treu geblieben! Aber kommen die auch wirklich für die Musik, oder warten die nur darauf, daß Johnny Borrell sein T-Shirt auszieht? Falls die zweite Variante die richtige Antwort ist, hatten sie heute leider Pech gehabt, denn Johnny machte sich obenherum nicht frei! Das hat er sich wohl abgewöhnt, denn schon beim Konzert in der Pariser Maroquinerie vor ein paar Wochen blieb er züchtig.
Statt auf diese Mätzchen verließ sich der blondgelockte Bandleader lieber auf die alten Hits, um mit viel Schwung ins Programm zu starten. Mit Golden Touch und In The Morning wurden nämlich gleich zu Beginn zwei Knüller rausgehauen.
Die Stimmung war sofort prima, was auch daran lag, daß wesentlich schneller und schrammeliger als auf den Alben gespielt wurde. Leute, die bei Razorlight einen glattgebügelten Mainstreamrock kritisieren, wurden also von Beginn an Lügen gestraft. "Gut so Johnny, stopf' den Lästerern das Maul!", dachte ich mir und war happy, heute im Bataclan zu sein. Auch von der vielzitierten Arroganz des Bandleaders war nichts zu spüren. Zusammen mit seinen zwei schwedischen Mitstreitern, Carl Gustaf Dalemo und Björn Sten Agren an Bass und Gitarre und dem langmähnigen Superdrummer Andy Burrows war er auf die Bühne gekommen und zog nicht die oft beobachete Show ab, bei der der Sänger immer 5 Minuten später als der Rest der Truppe erscheint.
Verstärkt wurde das Bühnenlineup durch einen Pianisten, der allerdings nur ab und zu zum Einsatz kam und auch durch eine hübsche Backgroundsängerin und Percussionistin, die auch schon in der Maroquinerie mit dabei war.
Nach einem furiosen Don't Go Back To Dalston traute sich die Band zum ersten Mal an die Liveerprobung eines neuen Stückes heran. Tabloid Lover zog dafür schon ganz gut, kam aber nicht an die Wucht und Dynamik von Before I Fall To Pieces heran. Überflüssig zu erwähnen, daß auch der bisher größte Hit von Razorlight, America, nach wie vor äußerst beliebt ist. Schon nach den schnell erkannten melancholischen Gitarrentönen zu Beginn des Songs, entfuhren etlichen entzückten Mädchen im Bataclan gellende Schreie.
Mir persönlich gefielen die folgenden zwei neuen Stücke aber besser als die totgenudelte Radionummer. Sowohl Hostage Of Love als auch 60 Thompson trug Johnny Borrell auf einer Akustikgitarre vor und ich kann wirklich nicht verstehen, warum das neue Album so verrissen wurde, wenn solche Perlen darauf enthalten sind! Gerade Hostage Of Love gehört für mich zum Besten, was Razorlight je geschrieben haben! Das Konzert war also bereits in der Mitte in trockenen Tüchern, soviel stand fest. Und selbst wenn in der Folge mal kleinere Hänger drin waren und nicht jeder der Neulinge umwerfend war (einen gewissen Kitschfaktor will selbst ich als Fan nicht leugnen!), konnte ein durchgängig gutes und flottes Niveau gehalten werden, auch wenn der Bassist seltsam unbeteiligt schien. Die Show war ganz und gar auf Borrell ausgelegt und wenn nicht der hütchentragende schwedische Gitarrist Björn Sten Agren am Ende ein wenig aufgetaut wäre, hätte man auch an seiner Stelle einen Roboter aufbieten können. Akzente gingen also wieder einmal nur von Johnny und dem wahnsinnig guten Schlagzeuger Andy Burrows aus, der auch heute durch seinen mächtigen Bums, seine Präzision und seine Schnelligkeit herausragte.
Für eine Ballade setzte sich der Razorlight- Boss dann hinter das Piano, bevor gegen Ende erneut mächtig Dampf gemacht wurde. Rip It Up war schließlich ein guter und würdiger Schlusspunkt unter den offiziellen Teil, der circa 65 kurzweilige Minuten gedauert hatte.
Im Zugabenteil gab es dann wie immer das unvermeidliche Fall, Fall, Fall, das Mister Borrell regelmäßig ganz alleine vorträgt und bei dem er seinen großen Moment hat, wenn er eine Silbe über etliche Sekunden lang zieht und so seine stimmlichen Qualitäten unter Beweis stellt. Ich mochte die Nummer noch nie und bevorzuge ganz klar die rockigeren Songs wie zum Beispiel Rock'n Roll Lies vom ersten Album.
Das Beste hatten sich die Briten allerdings konsequenterweise für den Schluss aufgehoben. Somewhere Else, die Single die zwischen erstem und zweitem Album auf den Markt geworfen worden war, ist ein toller Popsong, bei dem der Mitsing-und Geräuschpegel zu Recht seinen höchsten Stand aufwies.
Unter dem Strich war mir nach gut 90 Minuten erneut bewußt geworden, daß Razorlight keinesfalls scheiße sind, sondern nach wie vor eine der besten britischen Livebands.
Demzufolge heißt es bei mir auch weiterhin: "J'aime beaucoup Razorlight!!! - Merci Johnny!" Und ob andere Leute das nun schlecht finden, ist mir auch schnuppe. Da vergieße ich wirklich keinen Tropfen Sperma für!
Setlist Razorlight, Le Bataclan, Paris:
01: Golden Touch
02: In The Morning
03: Don't Go Back To Dalston
04: Tabloid Lover
05: Before I Fall To Pieces
06: Vice
07: Amercia
08: Hostage Of Love
09: 60 Thompson
10: In The City
11: North London Trash
12: Back To The Start
13: Stumble And Fall
14: Stinger
15: I Can't Stop This Feeling I've Got
16: Wire To Wire
17: Blood For Wild
18: Rip It Up
19: Funeral Blues (Z)
20: Fall, Fall, Fall (Z)
21: You And The Rest (Z)
22: Rock'n Roll Lies (Z)
23: Burberry Blue Eyes (Z)
24: Somewhere Else (Z)
1 Kommentare :
du hast so recht!! es ist nur blanker neid, sonst nix
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