Konzert: Haldern Pop Festival 2023
Ort: Haldern/Niederrhein
Datum: 03.-05.08.2023
Dauer: 3 Tage
Zuschauer: ca. 5.500
Schon Tage vor dem diesjährigen Haldern Pop Festival war klar: Es wird wieder eine besondere Ausgabe. Stündliche Updates auf allen Kanälen erklärten das Wacken Festival zum Notstandsgebiet und auch der Niederrhein sollte nicht verschont bleiben. Die letztjährige Hitzeschlacht noch vor Augen, war der Gedanke an nächtliche Kältegrade und andauernde Regenfälle unvorstellbar, sollte sich aber bewahrheiten. Das Orga-Team des Festivals blieb aber immer ruhig und vertraute auf die Gelassenheit der Stammgäste und die eigene Erfahrung.
Um es vorwegzunehmen: Es gab keinerlei Einschränkungen im Programm und bis auf einige, vom Schlamm verschluckte Schuhe, auch keine größeren Probleme für die Besucher. Richten wir daher das Augenmerk lieber auf die Schönheiten der Ausgabe. Wieder einmal präsentierte sich das Haldern Pop als Füllhorn für Newcomer und ausgewählte Headliner, die eigentlich durch die Bank nur eines gemeinsam hatten: Musikalische Qualität. Dort, wo andere Festivals ihren Besuchern mit diversen sichtbaren oder unsichtbaren Aktionen, wie Sparmaßnahmen (weniger Bands) und neuen Einnahmequellen (Glamping, Parkgebühren) zu Leibe rücken, nimmt das gallische Dorf am Niederrhein immer noch eine Ausnahmestellung ein.
Trotzdem sollten den Zeichen der Zeit, wie einer zunehmenden Überalterung des Publikums, konsequent entgegengewirkt werden. In Zeiten, in denen für viele das Line-Up alleiniges Kaufkriterium darstellt, muss der Mehrwert des Markenkerns Haldern Pop in die Köpfe der jüngeren Generationen. Und der liegt auf Diversität und ein Hand kuratiertes Line-Up. Ein riesiges Poster mit allen Künstler*innen der letzten 40 Jahre am Eingang veranschaulichte dies auf beindruckende Weise.
Der Beginn im Spiegelzelt am Donnerstag macht dann auch keine Ausnahme. „Special Interest“ starten mit einer lauten, zeitgeistigen und wuchtigen Show die die Anwesenden schonmal auf Betriebstemperatur bringt und thematisieren den Altersdurchschnitt direkt mit einem sarkastischen „you are collecting vinyl, aren`t you ?“. Da bleibt kaum Luft und Zeit sich erstmal mit Gelände und alten Bekannten vertraut zu machen, denn als Nächstes folgt direkt einer der wenigen, lästigen Überschneidungen.
Brockhoff präsentiert modernen, eingängigen Pop im kleinen, bereits übervollen Niederrheinzelt, während die New Yorker Nation of Language dem Sound von New Order neuen Glanz verleihen. Beides mit Potenzial für größere Bühnen. Dachte man, mit dem Bassisten von Nation of Language den kuriosesten Männerhaarschnitt bereits früh ausgemacht zu haben, wurde es noch einmal eng. Mit den fantastischen Wunderhorse gab es im Anschluss direkt neue Highlights im Bereich Mullit zu bestaunen.
Die Band wirkt noch etwas unreif auf der Bühne. Sie beginnen, vielleicht auch aus fehlenden Selbstvertrauen, mit den eigentlich stärksten Songs, können aber trotzdem voll überzeugen. „Leader oft he Pack“ hat das Zeug zum echten Hit. Wer Razorlight oder die Fontaines D.C. mag, ist hier genau richtig. Auf der Hauptbühne gibt es derweil koreanischen Hip-Hop. Balming Tiger nutzen die Breite der Bühne endlich einmal komplett aus und der Regen legt endlich die ersten Pausen ein.
Das kommt für die Meisten wie gerufen und so entwickelt sich der kleine Doppel-Headliner von Tom Odell und den nachfolgenden Leoniden zur fast nicht mehr geglaubten Party an diesem „Wet Thursday“.
Gut, wem trotzdem noch nicht nach Schlafen zu Mute ist. Einer der verlässlichsten Highlights sind bekanntermaßen jedes Jahr die letzten Bands im Spiegelzelt, zu ganz später Stunde.
Und auch dieses Mal wird wirklich keiner enttäuscht. Hamish Hawk präsentiert uns eine waschechte Crooner Show mit mehr als subtilen Anleihen an große Vorbilder wie Suede und Morrissey. Damit bereitet der den Boden für den Abriss mit Ansage: Panic Shack aus Cardiff zerlegen das Zelt zwar etwas zärtlicher als noch die Idles oder Back Midi in den vergangenen Jahren. Trotzdem bekommt man bei dem herrlich melodiösen Punk Pop und den unvergleichlichen Texten „he put the milk in first“ das Grinsen einfach nicht aus dem Gesicht.
Am Freitag bestätigt sich dann endlich die alte Seher Weisheit aus Asterix: „Auf Regen wird Sonnenschein folgen“.
Der Dorfplatz füllt sich schnell. Eine Bühne gibt es zwar dort dieses Jahr nicht, aber der kleine Biergarten ist perfekt, um endlich die Kontakte zu pflegen, die das straffe Programm am Donnerstag nicht zuließ. Rolf Blumig, schon beim Maifeld Derby eine Überraschung, weiß kurze Zeit später im Jugendheim zu begeistern. Teilweise nah am Pop, dann aber wieder absurd komisch und filigran, spielt er mit seinem Publikum.
Es folgt eine volle Ladung Gitarrenbands wie schon lange nicht mehr. Courting und Gurriers spielen wilde Sets voller Energie, unterbrochen von Pavements letztjährigem Support Katy J. Pearson, die das Ganze etwas ruhiger, aber musikalisch ausgereifter angeht.
Und trotzdem gibt es zwei große, andere Gewinner des Abends im Bereich Indierock: Porridge Radio erhalten einen prominenten Slot auf der Hauptbühne. Wie verdient dies ist, belegt die Band eindrucksvoll mit einem magischen Set voller Spielfreude. Sängerin Darga Margolin schreit, lacht und springt fast über den Wellenbrecher. Es ist DIE Band der Zeit, genau am interessantesten Punkt ihrer Karriere.
Diese füllt bei der nächsten Band schon fast Bücher. Die Nerven spielen 75 Minuten im Spiegelzelt. Längere Auftrittszeiten können ja bei Festivals schnell ermüden. Hier ist der Mix aus neuen Songs und einem großen Backkatalog ein Segen. Die Nerven sind locker. Der Ernst und die Wut sind zwar noch spürbar, aber es macht jetzt einfach mehr Spaß als früher, ihnen bei diesem Vortrag zu folgen.
Besonders schön, dass das Haldern Pop an allen Abenden einen tanzbaren Abschuss auf der Hauptbühne präsentiert. Nach den Leoniden am Donnerstag und den wilden Comet is Coming am Samstag ist es an diesem Abend an den Belgiern von Glauque, uns mit treibenden Beats und sprachgewaltigem Rap ins Zelt zu entlassen.
Wenn einen da nicht noch Low Cut Connie im Spiegelzelt zur Umkehr bewegt hätten. Ein Orkan eines Auftrittes. Little Richard revisited. Auch wenn die Songs am nächsten Morgen vergessen sind, wird hier mit unzähligen Musikern das große All American Songbook zelebriert. Was für eine Nacht.
Das Tipi des Grauens (ein „geheimes“ Partyzelt, bisher immer nur im Backstage-Bereich platziert), fordert erste Opfer. Der Gang ins Dorf und zum täglichen Pflaumenkuchen muss am nächsten Morgen entfallen, und so startet der Tag mit dem erwarteten Knall im Spiegelzelt. Die zurecht mit Vorschusslorbeeren bedachten Bipolar Feminin pusten einem wieder Leben in den Körper. Mit dem Gestus von Zeltingers Tochter werden aufwühlender Punk und eindringliche Texte dargeboten, denen man sich nicht entziehen möchte.
The Mysterines wollen es danach etwas zu gut machen, aber gerade deshalb springt der Funke des Arctic Monkeys Support heute nicht über. Schade. Kein Problem, denn es folgt vielleicht Belgiens bester Pop Act zurzeit.
Sylvie Kreusch wandelt fast etwas zu sehr auf Lykke Li`s Spuren, hat aber genug gute Songs dabei, damit dies nicht zu sehr in Gewicht fällt. Lasziv tanzend spielen Sie und ihre große Band mit dem Publikum und gehört definitiv nächstes Jahr auf die Hauptbühne, oder eigentlich auf jede Hauptbühne. Einer der imposantesten Auftritte des gesamten Wochenendes, auch oder weil es einfach Pop war.
Immer wieder setzt Regen ein und lässt daher wieder kein entspanntes Quatschen und Schlendern auf dem Gelände zu. Daher fallen für mich auch Emilie Zoe und Lanterns on the Lake mehr oder weniger aus. Der ein oder andere denkt an die Abreise, oder wie diese überhaupt stattfinden kann. Besonders bei den ruhigen Klängen, mit einem mutigen Spot auf der Hauptbühne angesetzten Konzert von Hania Rani, bleibt Zeit zum Träumen.
Wieviel besser hätte dieser Gig auf der Wiese bei einem großartigen Sonnenuntergang funktioniert? Zum Abend hin wird es dann aber tatsächlich wieder trockener und einen Iren als Headliner stört so etwas eh nicht.
Glen Hansard gab sich schon am Mittag volksnah wie immer und schlenderte kurz mit gelbem Regenmantel über das Gelände. So nah kommt man einem Oskar Gewinner nur selten. Auf der Bühne zeigt er sich dann wie immer eklektisch aber überraschend elektrisch. Die E-Gitarre sah man bei ihm ja bisher eher selten, heute spielt fast im Geiste von Neil Young auf, begleitet von einer großartigen Band steht die fast perfekte Show der ersten Hälfte in krassem Kontrast zur Zweiten.
Hier dominiert wieder die irische Improvisationskunst. Diverse Gäste entern die Bühne, ein Sinead O`Connor Snippet hier, ein Solostück von Susan O`Neill dort. Es ist die helle Freude. Nach 75 Minuten ist Glen Hansard gerade warmgespielt, da ist leider schon wieder Schluss. Ein toller Abschluss und auch ein würdiges Ende dieser 40. Ausgabe. Was bleibt am Ende als Fazit?
Jeder sollte nach diesem Wochenende für diese einmalige Wundertüte eines Festivals und deren spezieller Spielorte werben. Mit dem Kleben von Postern und guter Hoffnung ist es in dieser übervollen Veranstaltungswelt nicht mehr getan, um das übliche „ausverkauft“ zu vermelden. Haldern lebt von den persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen. Lasst mehr Leute aus eurem Umfeld daran teilhaben und dann gemeinsam neue Erlebnisse kreieren. „Spread the word".
alle Fotos: Denis Schinner