Donnerstag, 30. August 2018

Haldern Pop Festival, 2. Festivaltag, Rees-Haldern, 10.08.18

0 Kommentare




Freitag kam ich nur ganz schwer aus dem Bett. Ihr müsst wissen, dass ich in Emmerich in einem kleinen Hotel untergebracht war. Emmerich? So weit vom Schuss? Ja! Leider! 3 Monate vor Festivalbeginn war auf booking com schon nichts Näheres zu finden, wirklich jetzt. Nun, ich also in meinem kleinen Hotelzimmer mit beschissen kleinem Bett, hundemüde und mit Blei in den Beinen, aber ich kann nicht einschlafen. Nicht um 2 nicht um 3 und auch nicht um 4 Uhr. Um 5 fiel ich vermutlich zum ersten Mal in einen Tiefschlafphase, ratzte über den auf 11 Uhr eingestellten Wecker hinweg und wachte irgendwann um 13 Uhr auf. 

Das Problem war nun, schnell nach Haldern zu kommen. Allerdings gibt es von Emmerich nach Haldern immer nur einen Zug pro Stunde und den um 13 Uhr 08 konnte ich schon abschreiben. Blieb nur noch der Zug um 14 Uhr 08, den ich dann glücklicherweise erreichte, nachdem ich mir zuvor an der Rheinpromenade 3 (!) doppelte Espressi bei einem italienischen Eiskaffe reingepfiffen hatte ! 





Ich war also wie gedopt als ich in Haldern ankam und stürmte in die Kirche zu den Barr Brothers. Die beiden Amis waren nicht nur dem Namen nach Brüder sondern auch im wahren Leben und wurden vom Stargaze Ensemble über weite Strecken musikalisch begleitet. 



Andrew und Brad Barr kommen aus Rhode Island/USA, leben aber in Montreal, Kanada und sind dort auch am erfolgreichsten. In den Charts aber auch hinsichtlich der gewonnen Awards für ihr Werk welches bisher 3 Alben umfasst.


In der Kirche zu Haldern kam ihre von bildhübschen Harmoniegesängen und warmherzigen Gitarren geprägte Musik besonders gut zur Geltung, der Spielort war tadellos gewählt. Sie versprühten viel Liebe, Hoffnung, Sanftheit und Intimität und obwohl die Kirche sehr voll, war das Publikum vorbildlich still und aufmerksam. Überwiegend gespielt haben sie ihr 2017er Album Queens Of The Breakers (erreichte Platz 29 in Kanada) aber wenn ich mich recht erinnere gab es auch ein Cover von Lhasa, die vor einigen Jahren verstorben ist. Die Barr Brothers hatten einen engen persönlichen und musikalischen Kontakt zu der Sängerin.



Der Auftritt der Barr Brothers in der Kirche war ein Highlight, keine Frage! Und später spielten sie auch noch ein "Geheimkonzert" in einem Zelt auf dem Festivalgelände. Das war ganz anders, viel experimenteller, aber ungemein gut besucht!

Hier ein youtube video eines Mitbürgers namens Wasserturm 68165


Ich blieb dann auch gleich in der Kirche, denn eine ganz besonders Performance stand nun auf dem Programm. Stargaze spielten Instrumentalcover von Fugazi. Das war schon sehr speziell und weit vom Original entfernt, aber dennoch hielt ich es für ein interessantes Experiment und blieb bis zum Schluss.

Auch im Anschluss bewegte ich mich nicht aus der Kirche raus, ich hatte hier richtiges Sitzfleisch entwickelt. Und ich sollte mein Bleiben nicht bereuen, denn nun spielten Wood River zusammen mit dem Cantus Domus.



Woodriver ist ein Jazz Ensemble aus den USA, angeführt von der Saxofonistin Charlotte Greve. Im Internet findet man verdammt wenige Informationen zu ihnen, ich bin weder auf eine Homepage noch eine Facebook Seite gestossen. Im Haldern Magazin "Dat Blatt" gibt es allerdings eine wundervolle Beschreibung des Projekts, der Auto redet von "magischen Klangwelten", "kostbaren Perlen" und einer "sich besonnen entfaltenden Musik, deren Feinheiten sich wie bei der Wahrnehmung einer Landschaft  dem Betrachter erst nach und nach erschliessen."


In der Tat spielte die Band ein sehr erlesenes, sehr subtiles Konzert, bei dem Musiker des Cantus Domus sogar teilweise in den Gängen der Kirche sangen und den Leuten ganz nahe waren. Die Atmossphäre war sehr angenehm und entspannt und am Ende war ich froh, so lange in der Kirche verweilt zu haben.


Später auf der Hautbühne gab es dann ein Wiedersehen mit dem Musikern von Stargaze, sie spielten die sogenannte Hip Hop Challenge mit Rappern der Band The Lytics und das war sehr lebendig und dynamisch. Wirklich mal was ganz Anderes!


Ab 20 Uhr 15 konzentrierte ich mich auf das Geschehen im Spiegelzelt. Hope aus Deutschland standen auf dem Programm. Gesignt bei Haldern Pop Recordings und angeführt von der jungen Sängerin Christine Börsch-Supan, spielte die 4-köpfige Band aus Berlin ein dichtes, düsteres Set, gespickt mit sphärischen Synthie-Rockstücken. Eine dunkle Messe im Schimmerlicht, perfekt um sich an geheimnisvolle Orte zu Beamen. Manchmal dachte ich an Anne Clark, manchmal an andere Ikonen der New Wave Ära. Musikalisch ein Hybride aus Post Punk und Elektro, also eher kalt und distanziert, blieb der Sound der Berliner aufgrund der markanten und nahegehenden Stimme von Christine dennoch  organisch und lebendig.




Am Ende baute sich das kurzhaarige Mädel mit hochgereckten Armen vor dem Publikum auf und liess sich zu recht feiern. Guter Auftritt!

Etwas später im Spiegeltent kamen dann die Freunde schrägen Indie Rocks auf ihre Kosten. Die kultigen Deerhoof standen um.. bereit und boten ihre gewohnt unterhaltsame und originelle Show aus Garagenrock, Japanpop und Noise. Ihr neues Album Mountain Moves (bereits das 16 zehnte (!) wird im September erscheinen und davon spielte das Quartett aus Kalifornien auch die meisten Stücke. Wer die japanische Sängerin von Deerhoof, Satomi Matsuzaki, noch nicht kannte, wunderte sich über ihren eigentümlichen, fast kindlichen Gesang, wer den Drummer Greg Saunier noch nie in Aktion gesehen hatte, war verblüfft von seinem harten, wilden Bums. Ein toller Gig, wenngleich etwas kurz .


Zeitlich genau zwischen Hope und Deerhoof hatten Seun Kuti  and Egypt 80 aus Nigeria eine jazzzig-funkige, bunte, lebensfrohe Show geboten, bei der man zudem extravagant gekleidete Tänzerinnen bewundern konnte, die wundervollen Schmuck und  ein ausgefallenes Make-up trugen. Auf der Bühne war jede Menge los, es war ein grosses Fest, bei dem der Sohn von Fela Kuti und seine Musiker bewiesen, dass man auch Musik aus Afrika mal ein Ohr (und ein Auge, nämlich bei Konzerten) schenken sollte.

Um 22Uhr 15 stand mit Haldern Liebling Villagers aus Irland aber wieder eher Schwermut an.



Connor O' Brien der hinter dem Projekt steckt, ist für seine weinerliche Stimme und seine traurigen Texte bekannt und war bestimmt schon zum mindestens 3. Mal am Niederrhein mit dabei. Seine diesjährige Show war erneut erlesen, warmherzig, melancholisch und fein arrangiert, aber irgendwie wollte dieses Mal der Funke nicht so recht auf das Publikum überspringen. Die Show plätscherte angenehm vor sich hin, ohne dass mein Puls deutlich schneller schlug. Vielleicht war es die Müdigkeit, vielleicht auch der Grösse des Spielortes. Villagers damals im Zelt waren irgendwie heimeliger.



Nils Frahm hatte schliesslich die Ehre, den Abend als Headliner auf der grossen Buhen ausklingen zu lassen. Nils ist ja auch ein alter Bekannter, ich erinnere mich an einen packenden, intimen Auftritt im Tonstudio Keusgen vor einigen Jahren, als er noch deutlich unbekannter war als heute. Inzwischen ist er ja wirklich ein etablierter Musiker, der nicht nur in Deutschland, sondern auch beispielsweise in Frankreich grosse Erfolge feiert und riesige Säle bespielt.


Damals fast noch ein rein klassischer Pianist, hat sich seine Musik heutzutage weiterentwickelt in Richtung Elektro, Folktronica, ja fast Techno. Und was da alles an Material auf der Bühne stand war beeindruckend! Man sah den Berliner Musiker teilweise fast gar nicht mehr hinter seinen Türmen an elektrischen Pianos und analogen Synthesizern! Wikipedia erklärt mir dann auch, dass Frahm seit 2014 mit einem Piano namens Una Corda spielt, was immer auch diese Wundermaschine kann.


Die Bühne von Nils war sehr düster, die vielen kleinen Lichter waren alle stark gedimmt und eine richtige Interaktion mit dem Publikum konnte so gar nicht stattfinden. Stattdessen war es ein Konzert zum Innehalten, Kontemplieren, Schwelgen, bei denen die Leute mit der höchsten Aufmerksamkeit am reichsten belohnt wurden. Angesichts der Uhrzeit (gegen Ende war es fast halb 2!) gar nicht so selbstverständlich, da der Tag lang und reich an feinen Eindrücken war.

Ich blieb dennoch bis zum Schluss, stand dann aber vor dem Problem wie ich nach Emmerich kommen sollte. Züge fuhren schon längst keine mehr und ein Fahrrad hatte ich auch nicht. Blieb mir nur die Wahl eines sündhaft teuren Taxis, das nach langer Warterei auf der Strasse vor den Maisfeldern aufkreuzte. Der Fahrer war nett, er wollte wissen wie mir der Festivaltag gefallen hatte. Und obwohl er keine der aufgetretenen Bands kannte, meinte er: " Haldern Pop ist immer 'ne tolle Sache und alle hier in der Gegend finden die Veranstaltung super, ich auch, obwohl ich persönlich lieber Elektro höre" Nils Frahm kannte er dennoch nicht. Ist vielleicht eher Elektro für Hipster...








Dienstag, 28. August 2018

Haldern Pop Festival, erster Festivaltag, Haldern, 09.08.18

0 Kommentare

"Always different, always the same"

Dieser Satz soll von John Peel stammen und sich auf die Kultband The Fall beziehen. Er kam mir beim diesjährigen Haldern nicht nur deshalb in den Sinn weil The Fall Chef Mark E. Smith kürzlich gestorben ist, sondern weil er irgendwie auch auf die wundervolle Veranstaltung am Niederrhein passt, die heuer ihr 35 jähriges Jubiläum beging.


Einige Dinge sind hier wirklich immer gleich, seitdem ich 2006 zum ersten Mal im Wald am alten Reitplatz aufkreuzte. Die Kühe und Pferde auf den Weiden, die wundervollen Maisfelder auf dem Weg zum Gelände, die selbstgebastelten Schilder mit persönlichen Aufschriften wie: "Welcome back, schön dass du wieder in Haldern bist", die roten Backsteinhäuser mit den schönen flaschengrünen Fensterläden, die alten Scheunen, die vielen blonden blauäugigen Mädchen im Publikum, das Bier, der matschige Boden, der holländische Ansager, die Hauptbühne, das Spiegelzelt und die langen Schlangen davor (heuer weniger lang als in den Vorjahren), das Magazin "Dat Blatt", die Gummistiefel (2018 seltener gesehen), die Steinofenpizza, Die Handbrotzeit, die Poptaler (von denen man immer aus Versehen ein paar nach Hause schleppt), die Fotografen im Graben (man kennt sich seit Jahren vom Sehen) und so viele Dinge mehr. Auch die Bands sind teilweise gleich, oft hat man sie schon ein oder mehrfach in den Vorjahren gesehen, was man positiv als Vertrauen der Bands in das Festival oder negativ als Einfallslosigkeit der Programmgestalter auslegen kann (selbstredend optiere ich für Alternative eins). 




Zu den Wiederholungstätern 2018 gehörten Lisa Hannigan, Gisbert zu Knipphausen (Foto), Philipp Poisel, Public Service Broadcasting, Someday Jacob, Villagers, Nils Frahm, White Wine, Kettcar (Foto unten) und vermutlich auch noch andere, an deren Auftritte der Vorjahre ich mich allerdings nicht mehr erinnere, ohne bei Google nachzugucken.





Neu beim Haldern 2018 aber unter anderem Protomatyr, eine Band aus Detroit, die wohl zum ersten Male überhaupt in Deutschland spielte. Ohnehin gab es wieder etliche sehr vielversprechende Newcomer, die international hoch gehandelt werden wie Jonathan Bree, Tamino, Lewsberg oder Alabaster de Plume, von denen wir alle noch viel hören werden.


In modischer Hinsicht war  Glitzer- Schminke neu, während Renner der Vorjahre wie Seifenblasen und auf dem Rücken getragene winzige Turnbeutel out zu sein scheinen. Der Spielort Jugendheim war wohl nicht ganz neu, obwohl er mir in den Vorjahren nicht aufgefallen ist. Allerdings war ich heuer kein Mal da drin, obwohl so interessante Künstler wie Seamus Fogarty oder Nilüfer Yanya dort auftraten.


Aber das ist eine Sache, die leider immer für mich zum Haldern Pop dazugehört: ich verpasse Bands, die ich liebend gerne gesehen hätte! Teilweise liegt es an zeitlichen Überschneidungen mit anderen Konzerten, teilweise an Kraftmangel, manchmal auch an Essenspausen, die auch sein müssen um durchzuhalten. Oder aber meine Anreise verspätet sich. Ein Klassiker! Wie oft stand ich Donnerstags mittags auf der Anreise im Stau und kam später als gewollt an? Zu oft! 2018 war mir der Verkehr auf der Autobahn allerdings schnuppe, denn ich fuhr von Paris aus mit dem Zug und besitze gar kein Auto mehr. Der Zug von Köln nach Haldern hatte allerdings auch eine Stunde Verspätung. Die Umsteigemöglichkeiten waren ebenfalls wenig attraktiv und so kam ich statt 17Uhr30 erst gegen 18Uhr30 am Halderner Bahnhof an. Die bezaubernde Irin Lisa Hannigan, die in der Kirche von 17h20 bis 18Uhr10 angesetzt war, verpasste ich somit schon einmal komplett. Frustriert  schleppte ich mein schweres Gepäck und meinen schweren Körper durch den kleinen Dorfkern und dann über Feldradwege zum Gelände, checkte im Kiosk ein und bekam mein Pressebändchen mit Fotopas, wie immer flott und reibungslos.



Von Big Thief (Archivbild von mir) aus Brooklyn, auf die ich mich im Vorfeld wahnsinnig gefreut hatte, bekam ich aber nur noch die letzten 2 bis 3 Lieder draussen auf der Wiese vor dem Spiegeltent mit. Unter anderem gab es die Perle Mythological Beauty zu hören, aber für eine fundierte Konzertkritik reichten meine Eindrücke natürlich nicht. Da ich die Band um Adrianne Lenker allerdings schon zwei mal live sehen konnte, weiss ich wie berührend ihre Auftritte sind. Natürlich keine grosse Show, kein Rumgehüpfe, dafür aber viel Authentizität, Intimität, Weltschmerz und Zartheit. Ihr Album Capacity war eines der besten im Jahre 2017, im Herbst 2018 wird nun aber erst einmal ein Soloalbum von Adrianne erscheinen.



Um 19 Uhr war die Zeit der Briten Public Service Broadcasting auf der Hauptbühne gekommen. Die Burschen hatten wir ja damals auf der inzwischen nicht mehr existierenden Beergarden Stage kennen-und lieben gelernt. Die drei Alben der Band hatte ich dennoch seitdem nicht gehört, weil ich einfach mit den ganzen Veröffentlichungen nicht hinterherkomme. Damals war es noch ein Duo, heuer ist es ein Trio, bestehend aus Burschen mit den Phantasienamen J. Willgoose Esq., Wrigglesworth et JF Abraham. Gerade der 2017 hinzugestossene Bassist JF Abraham machte mir unglaublich viel Spass! Er versprühte eine Spielfreude, dass ich nur noch bekifft grinsen konnte! Wahnsinn wie gut gelaunt er war, wie er das Publikum mitriss! 



Drummer Wrigglesworth war eher gewohnt stoisch, während  der Fliege tragende Soundtüftler J Willgoose oft schelmisch grinste. Das Konzept ist noch das gleiche geblieben. Propagandavideos, musikalische Collagen aus Post Punk, Krautrock, Post Rock und Elektronika, kein Gesang, (abgesehen von den gesampelten Radionsagen  passend zu den Videos). Das Ganze war meist ungemein tanzbar und hypnotisierend und auch nicht tierisch ernst zu nehmen. Das war vielmehr Unterhaltung pur, kredenzt von drei Brille tragenden Nerds, die über sich selbst lachen können. Teilweise wurden die drei auch von einem Bläser Trio begleitet, Saxofon, Trombone und Trompete und und auch diese Musiker amüsierten sich wie Bolle. 



Wenn ich es richtig in Erinnerung habe waren sie beim Weltraumstück Gagarin dabei. Abgeschlossen wurde die Show vom dem Bergsteiger Track Everest, der die Mount Everest Erstbesteigung zeigte und in einem fulminosen Finale mit einem heftigen Platzregen endete. Da waren zwar alle im Publikum in Kürze klatschnass, aber geschmunzelt wurde dennoch.



Wer freilich den jungen Briten Jake Bugg sehen wollte, der musste schon auf Public Service Broadcasting verzichtet haben und in etwa zur gleichen Zeit in der Dorfkirche gewesen sein. Da ich aber mit Bugg nicht allzuviel anzufangen weiss, war das für mich zu verschmerzen. Viel verpasst hatte man aber möglicherweise bei dem charismatischen Reverend Beat Man and The New Wave . War im Spiegeltent von 19h45-20Uhr30 angesetzt und klang aus der Ferne sehr bluesrockig und schräg. War bestimmt 'ne coole Show.



Rüber zur Hauptbühne musste ich allerdings nun für die Amerikaner Dirty Projectors. Deren Anfänge um das Jahr 2007 herum mit dem Cover Album Rise Above hatte ich mitverfolgt, aber irgendwie habe ich in den letzten Jahren den Anschluss bei der Diskografie der Band von David Longstreth verloren und die letzten drei Longplayer nicht mehr gehört. Longstreth selbst hat in dieser Zeit seine Band total ausgewechselt, selbst die charismatische Amber Coffman (seine Ex) ist heuer nicht mehr dabei und Angel Deradoorian verfolgt nun seit ein paar Jahren ihre Solokarriere. 




Weibliche Musikerinnen gab es dennoch bei den Dirty Projectors, beim Haldern sahen wir die blonde und stark tätowierte Maia Friedmann an der Gitarre, die erfrischend aufspielende Felicia Douglass mit prachtvoller Löwenmähne am Klavier und die meist im Hintergrund agierende Pianistin Kristin Slipp mit flotter Karoshort. Alle drei sangen im Laufe des Konzertes auch einmal alleine ganz vorne und in der Mitte, ansonsten hatten sie die Rolle Backvocals beizusteuern, eine Rolle, die keineswegs minderwertig war, weil die Chöre bei der Band aus New York schon immer besonders wichtig war. Unwichtiger als früher erscheint bei den Dirty Projectors allerdings das rockige Element geworden zu sein. Sie haben sich musikalisch immer weiter Richtung R'n'B und Indie Soul bewegt, ohne jedoch ihre Identität völlig aufgegeben zu haben. Eine experimentelle Band, deren Musik ständig im Fluss ist und stets überraschend bleibt. Ein guter Auftritt !



Ich musste mich nun sputen um schnell ins Zelt zu Kevin Morby zu kommen. Sein Konzert begann um 21Uhr15 und war schon im Gange als ich eintrat. Voll war es herinnen, aber nicht ganz so heiss wie in früheren Jahren, weil der Donnerstag dieses Mal relativ kühl war. Die Stimmung war durchweg klasse und sehr entspannt, alle hier schienen hier einen guten Abend mit Morby und seiner Band (darunter die talentierte Gitarristin Hand Habbits) zu haben. Mit viel Spielfeude und Nonchalance sang sich der Lockenkopf durch sein knackiges, aber leider recht kurzes Set. Den eindeutigen Schwerpunkt hatte er auf seinen letzten Output City Music gelegt, es gab aber auch 2 Songs von Singing Saw und jeweils einen von Harlem River und von Still Life. Der Abschluss ganz schmissig mit Dorothy, Retrocharme gepaart mit modernem Gitarrensound, unwiderstehlich! Die Menge johlte und ich hätte gerne noch einen Nachschlag bekommen, aber Zugaben gibt es im Spiegelzelt grundsätzlich nicht, dafür sind die Pläne zu straff gezurrt.*



Ich blieb aber im Zelt, unterhielt mich angeregt mit 2 Mitbürgern und wartet auf die folgende Band, Broen aus Norwegen. Schon als die junge Musiker ihre Bühne aufbauten, konnte man ihren eigenwilligen Kleidungsstil sehen. 80er Jahre Windjacken, Birkenstock mit Socken, Blumenaccessoires, Fummel aus dem Vintage Laden. Ich war auf die Musik gespannt. Die klang dann schliesslich nicht öko und nach alten Socken, sondern vielmehr nach modernem, tanzbaren R'n'B, Dreampop, Freejazz und Elektro. Die Lieder wahren eher experimentell gestrickt und nicht wirklich radiotauglich, aber keineswegs sperrig oder anstrengend. Ich verbrachte eine gute Zeit mit Leadsängerin Marianne, der Tubaspielerin Heida Karine, der Synthiespielerin Anja und ihren männlichen Mitstreitern Lars Ove, und Hans. 




Eine feine Entdeckung. Ich muss mir die auf dem exquisiten Bella Union Label erschienene Debüt Platte I love Art unbedingt mal anhören!


Danach war aber Schluss für mich an diesem Eröffnungstag. Als alter Mann muss ich mit meinen Kräften haushalten. Wie tot fiel ich ins Bett...





*Hier die Setlist von Kevin Morby



City Music

Crybaby
1234
Aboard My Train
Harlem River
Parade
Dry Your Eyes
I Have Been To The Mountain
Dorothy






Samstag, 25. August 2018

Gudruns Konzerttipps

0 Kommentare
Bevor ich zum Sound of Bronkow Musicfestival in Dresden aufbreche, wird es Zeit für die Tipps im September. 


Yellow Bird
26.08. Berlin, Wiesenburg Festival
26.08. Bad Belzig, Kleinkunstwerk
07.09. Köln, Stadtgarten
08.09. Bielefeld, Kultursommer
09.09. Darmstadt, Stadtkirche
19.10. Salzburg, Jazz & The City
16.11. Berlin, amSTART at Ausland
27.11. Zürich, Moods

Hello Emerson
26.08. Offenbach – Hafen 2
27.08. Chemnitz – Inspire Chemnitz
28.08. Hamburg – Freundlich & Kompetent
29.08. Berlin – Ä
30.08. Berlin – Art Stalker (mit Wayne Graham)
01.09. Annaberg-Buchholz – Alte Brauerei
02.09. Dresden – The Sound of Bronkow Music Festival
04.09. Bayreuth – Sübkültür
05.09. Marburg – Q
06.09. Düsseldorf – Zakk
07.09. Karlsruhe – Nun Kaffehaus (mit Wayne Graham)
08.09. Freiburg – Swamp (mit Wayne Graham)
09.09. Hof – Dachbodenkonzert
10.09. Münster – Pension Schmidt

The Blank Tapes
28.08 Düsseldorf Kassette
01.09 Oldenburg Stadtfest Oldenburg
02.09 Dresden Sound of Bronkow
03.09 Berlin Schokoladen
10.09 Mannheim Kurzbar
 


The Great Park
The Great Park, Karlsruhe, 11.08.16

31.08. Badstrasse 8, Fürth
02.09. Rheintalgarten, Fluringen, Schaffhausen
04.09. The Phrontistery, Luzern
07.09. House Concert, Strasbourg,
08.09. House Concert, Altdorf
14.09. Tonfink, Lübeck
15.09. Prinz Willy, Kiel
16.09. Platzprojekt Bar, Hannover
21.09. Noch Besser Leben, Leipzig
23.09. Hole Of Fame, Dresden

  



Tiny Ruins
Tiny Ruins, Dresden, 02.09.12

05.09. Tivoli Club 9, w/ Clasine, Utrecht
07.09. Merleyn, Nijmegen
09.09. Nochtwache, Hamburg
10.09. Berghain Kantine, Berlin
11.09. Blue Shell, Köln
12.09. Pop Up Du Label, w/ Bryde, Paris


Bobo & Herzfeld
07.09. Neustrelitz / Kirche Prillwitz
08.09. Stralsund / Kulturkirche Jacobi
09.09. Berlin/  Stummfilmkino Delphi
28.09. Bremen/ Sendesaal
07.10. Dresden / Staatsschauspiel

The Fugitives
07.09. Schwerin / Windros-Festival
08.09. Berlin / The Fahrradkeller (Hauskonzert)   
09.09. Berlin / ART Stalker          
12.09. Krefeld / Kulturfabrik         
14.09. Blankenburg / Altes E-Werk
15.09. Hoyerswerda / Speicher No1
19.09. Wetzlar / Franzis
20.09. Erkerode-Lucklum / Wirtshaus Wegwarte
23.09. Bad Essen / Schafstall
26.09. Ingolstadt / KKB-Neue Welt
27.09. Frankfurt / Die Fabrik
28.09. Bielefeld / Bunker Ulmenwall
29.09. Singwitz / Kesselhauslager

Three For Silver
10.09. Monomontag | Winterthur
11.09. Tonfink | Lübeck
12.09. Burg Henneberg | Hamburg
13.09. Prinz Willy | Kiel
14.09. Kulturcafe Komm Du | Hamburg
15.09. Q | Marburg
19.09. NBL | Leipzig
20.09. Polyester | Oldenburg
21.09. Caveau | Mainz
22.09. Bolleke | Duisburg
23.09. Hafen 2 | Offenbach
24.09. Live Club | Bamberg
25.09. Academy | Salzburg
26.09. Sargfabrik | Wien
27.09. Röda | Steyr
28.09. Bart | Timmelkam
29.09. Kunst und Kulturhaus | Öblarn 


Daniel Kahn & The painted birds
11.09. Quasimodo Berlin
18.10. Forum Gestaltung Magdeburg
19.10. Konzertsaal Kreissparkasse Syke
20.10. Franz Aachen
21.10. Synagoge Hindenburgstrasse Mainz
28.10. Stadttheater Idar Oberstein     



Plumes
Plumes, Karlsruhe, 31.08.17


14.09. Paris / Pomme d'Eve
18.09. Düsseldorf / Cube
19.09. Münster / Teilchen & Beschleuniger
20.09. Ravensburg / Song & Text Series
21.09. Karlsruhe / Private show
​22.09. Hamburg / Private show
14.09. Paris / FIAP


Wooden Peak

Wooden Peak, Karlsruhe, 18.09.15 

12.09. Bremen // Karton
13.09. Hannover // Open Space
14.09. Rostock // Peter Weiss Haus
16.09. Leipzig // SPLNK
18.10. München // Glockenbachwerkstatt
20.10. Viechtach // Altes Spital
21.10. Ulm // Sauschdall
15.11. Berlin // Klunkerkranich
06.12. Jena // Trafo

Fur coats
18.09. Papp | Bremen
19.09. Hansa 48 | Kiel
20.09. Sage Club | Berlin
21.09. Ex Sparr | Hamburg
22.09. Q | Marburg
24.09. Monomontag | Winterthur (CH)
26.09. Cafe Vinyl | Wetzlar
27.09. La Parenthese | Nyon (CH)
28.09. Kasseturm | Weimar
29.09. Live Club | Bamberg
01.10. SCHICK & SCHÖN | Mainz
02.10. Zauberberg | Passau
03.10. Hafen 2 | Offenbach
           Frischzelle | Darmstadt
06.10. Röda | Steyr
09.10. Fluc | Wien
10.10. Lendhafen Cafe | Klagenfurt
11.10. Bar Gabanyi | München
12.10. Altes Stellwerk | Solingen
13.10. Club Nacht @Prinz Willy | Kiel

Dives
19.09. Hamburg Reeperbahn Festival
29.09. Wien Waves Vienna
02.10. Linz Stwst Stadtwerkstatt
03.10. Stuttgart Merlin Kulturzentrum
04.10. Freiburg Swamp Freiburg
05.10. Kassel Stellwerk Kassel
06.10. Hamburg Hafenklang
07.10. Hannover Open Space Hannover
30.10. Passau Zauberberg Passau
31.10. Nürnberg Kantine gegenüber vom K4 Künstlerhaus
02.11. Berlin Monarch Berlin
04.11. München Unter Deck

A-SUN AMISSA
22.09. Gent De Kleine Kunst w/ Empusae & Monnik
23.09. Tincques We Hate Rock n Roll #4
24.09. Aalst AMOK
25.09. Bochum Bastion
26.09. Offenbach Waggon
30.09. Berlin Arkaoda w/ Noplace Trio
01.10. Leipzig Pracht w/ Noplace Trio
02.10. Gorlitz JKZ Basta
03.10. Kassel Sandershaus
04.10. Hamburg Schute
05.10. Celle MS LorettaFatoumata

Donnerstag, 23. August 2018

Haldern Pop Festival, 09-11.08.2018

0 Kommentare

Konzert: Haldern Pop Festival 2018
Ort: Haldern
Datum: 09.-11.08.2018
Dauer: 3 Tage
Zuschauer: ca. 6.500 ausverkauft



Haldern Pop: "So much to see, so much to do.."...Was eigentlich immer mit Entschleunigung verbunden wurde, ist seit einigen Jahren fast nicht mehr greifbar. 5-7 Locations, über das ganze Dorf verteilt. Beginn (der fantastischen "Lesung" von Ex-Genesis Tourmanager Richard Macphail) um 10:00 Uhr morgens, Ende in der Nacht mit Ariel Pink um 2:00 nachts), da sollte man sich seine Kräfte schon einteilen.

Und obwohl das Festival in der musikalischen Breite und der Fülle der angebotenen Inhalte stetig wächst, bleibt es doch ein großes Klassentreffen, aus dem sich jeder seine Lieblingsfreunde herauspicken kann.



Interessant war dieses Jahr, das der Freitag, wohl zum ersten Mal in der Geschichte des Haldern Pop, dem HipHop gewidmet wurde. Festivalchef Stefan Reichmann betonte ja in den letzten Jahren schon in Interviews, wie wichtig (und schwierig) ein roter Faden im täglichen Programm sein kann.

Und so fanden sich mit Astronautalis, Sampha the Great aus Australien, der stargaze HipHop challange und den alten Bekannten von The Lytics fast alle Spielarten des Sprechgesangs versammelt. 



Dazu am Nachmittag noch der soulige Sound von Curtis Harding und die Weltmusik von Seun Kuti mit seiner Riesenband. Da wirkten die austauschbaren Sounds von The Slow Readers Club (Editors-Klon) und De Staat (holl. Phänomen mit banalen Songs) doch sehr altbacken. 

Auch Villagers konnten an diesem Abend mit eigentlich typischem Haldernsound nicht wirklich überzeugen. Trotz prominentem Slot zur besten Sendezeit blieb der Auftritt blass und wenig in Erinnerung.

Deerhoof dagegen zeigten alte Stärke, obwohl seit der Gründung 1994 nun schon viel Zeit in Land gegangen ist, bleibt die Spielfreude ansteckend und unverändert. 

Zum eigentlichen Abschluß auf der Hauptbühne am Freitag dann ein weiterer deutscher Headliner. Dieses Jahr mal nicht aus der Popfraktion sondern der im In- und Ausland sehr geschätzte Nils Frahm

Auch wenn das geschulte Publikum in Haldern damit in der Nacht keineswegs überfordert zu sein schien, hat Frahm aber evtl. schon zu viele Auftritte bei ähnlichen Festivals hinter sich. Der Reitplatz leerte sich trotz zunächst gutem Wetter und tollem Sound merklich. 

Die gute Nachricht auf dem Weg zum Schlafzelt: Es legt noch ein DJ im Spiegelzelt auf. Oft gewünscht und vor Jahren schon mal dagewesen, geisterte der Name DJ St. Paul immer wieder durch die Foren und Wunschlisten der Besucher. 

Mittlerweile ist St. Paul in den Niederlanden eine feste Größe, bespielt und kuratiert gar beim BKS  drei Tage eine eigene Bühne mit wechselnden Gästen und Sets. Auch in Haldern bleibt in den nächsten drei Stunden kein Fuß auf dem Boden. 



Ausgelassene und entspannte Stimmung im bebenden Zelt lassen vermuten, das sich der Durchschnittsbesucher auch sehr gerne zu später Stunde einfach mal einige Indie-Hits vom Band servieren lässt. Nerdige Spotifylisten kann man ja morgen wieder abarbeiten. Auf jeden Fall ein sehr schöner Ausklang des Freitags. 

Samstag dann, wie schon erwähnt, eine tolle Geschichtsstunde im Jugendheim über Genesis, als Start in den Tag. Danach schnell den kultigen Pflaumenstrudel vom Bäcker holen (natürlich 2 Stücke), ein kurzer Einkauf in der Popbar und schnell zurück zum Gelände mit einem Fußpils(z) (das neue Gehbier), um Fortuna Ehrenfeld nicht zu verpassen.



Und was für ein Auftritt wurde dort geboten. Wer die Band schon als Support von Kettcar gesehen hatte, konnte es erahnen, die anderen blieben bis zu den Zugabenrufen !! mit offenem Mund vor der Bühne. Fantastische Lyrics, irres Outfit, Bläsersatz am Ende... da stimmte einfach alles. Und als der "Puff von Barcelona" verklungen war, stand einer der ganz großen Gewinner des Festivals zurecht fest. 

Die Band spielte am Abend dann noch einen spontanen Auftritt im kleinsten Zelt des Geländes und signierte reichlich. Einfach toll.

Danach hatten es Protomartyr und Jenny Lewis etwas schwer, die Hitze kam zurück auf den Platz und die Gigs von White Wine und besonders des smarten Marlon Williams zeitgleich im Spiegelzelt hatten etwas mehr Charme und musikalischen Drive. 



Trotzdem war der Samstag ein sehr starker Tag, der immer zu spontanen Wechseln einlud, bei denen dann aber Teile anderer Konzerte entfallen mussten. 

Phoebe Bridges war der erwartete Knaller, Amyl and The Snifflers Punk war schnell erzählt (aber deshalb nicht schlechter), The Lemon Twigs habe ich dagegen schon besser erlebt. Die dürren Engländer aus dem Second-Hand Laden sind aber sicher noch nicht abzuschreiben. 



Der Höhepunkt für viele (King Gizzard..) ist leider gar nicht mein Ding, eine tolle Live-Band sind sie natürlich trotzdem. Ja, und dann gab es doch noch eine echte Indie-Band auf dem Haldern: Rolling Blackouts Coastal Fever öffneten mein Herz, dazu veröffentlichen sie auch noch auf SubPop, da kann wirklich nichts schiefgehen. Eine tolle Band, die sogar moderne Hits schreibt. Unbedingt reinhören.

Über Kettcar habe ich bereits einen eigenen Eintrag verfasst, und somit war es an den Sleaford Mods, das Festival auszukehren. 

Wer, wie ich gedacht hatte, der Witz wäre nur einmal witzig, wurde eines besseren belehrt. Der Platz blieb bis zum Ende sehr gut gefüllt, und obwohl die beiden als Headliner keinen Gassenhauer vorweisen können und sich die Anzahl der Menschen, die sich diese Musik zu Hause zur Entspannung anhöhen, sehr begrenzt sein wird, war es ein Erlebnis, die Band in diesem Rahmen zu erleben. 

Die von Noel G. verspottete "Mental Illnes.." ist natürlich nicht ganz von der Hand zu weisen, aber die Mischung aus ehrlichem Lyrics a la Kate Tempest und dem krachigen Beat von "The Streets" sind nachts besser verträglich als mittags auf einer riesigen Festivalbühne. "The hardest working man in Showbiz" (Andrew Fearn) führte natürlich wieder während des kompletten Sets seine Bierflasche spazieren, startete aber immer pünktlich den nächsten Track. Musiker sein ist schon eine tolle Sache. 



Alles in allem bot das Festival wieder einmal ein Wochenende ohne Reue. Die musikalischen Strömungen der Gegenwart wurden mit dem extrem variationsreichen Programm perfekt gespiegelt, auch wenn das nicht allen Ur-Haldernern schmecken mag. 

Stillstand ist keine Option.

Danke, und bis zum nächsten Jahr. 

Fotos: Denis Schinner

https://desc-photography.com/2018/07/29/hpf17/


Montag, 20. August 2018

Kettcar, Haldern Pop Festival 2018,11.08.2018,

0 Kommentare

Konzert: Kettcar
Ort: Haldern Pop Festival 2018
Datum: 11.08.2018
Dauer: 75min
Zuschauer: ca.6.000



Das Comeback von Bands mag ein nicht enden wollender Trend sein. Bei Kettcar war er folgerichtig und großartig. 

Das neue Album ist ein Triumph, sowohl musikalisch als auch in seinem Mut zur Veränderung der Perspektive und Aussagekraft. Die Direktheit der Texte bezog sich bei Marcus Wiebusch ja seit Kettcar-Zeiten fast immer nur auf die Gefühlswelt des Einzelnen. Jetzt sind die Betrachtungen eher von Außen und spiegeln die Gesellschaft. 



Somit war der Headliner-Spot beim diesjährigen Haldern-Pop-Festival keine besondere Überraschung und folgerichtig. Fast jeder hier dürfte Kettcar in den letzten 12 Monaten bereits live gesehen haben, so viele Club-/Hallen-/Festival-/Secret-und Headlinerkonzerte haben sie bereits gespielt.



Zuletzt sah ich sie im Gloria in Köln mit dem kompletten, neuen Album und war sehr angetan. An diesem lauen Sommerabend in Haldern hatte ich mir allerdings etwas mehr erwartet. Die Band scheint immer noch mit vielen neuen Songs zu hadern, traut ihnen nicht das volle Potential zu, das viele im Publikum längst erkannt haben.



"Sommer`89" wird immer noch im vorderen Drittel platziert, obwohl ich keinen Menschen kenne, der diesen Song nicht als Zugabe feiern möchte. Auch "Abflughalle" verpufft in der Mitte des Sets. Irgendwie hat man immer den Eindruck, die Band stehe gleichzeitig auf Gas und Bremse, wie ein verunsicherter Fahrschüler. Warum das so ist, keine Ahnung.

So beraubt man sich auf einer langen Tour selber der Spielfreude und irgendwie merken dies auch die Zuschauer. Vieles klingt wie auf Platte, anderes ist weiterhin großartig. Der Wiebusch-Solosong "Ein Tag wird kommen" ist der Anker im Set. Endlich nimmt sich die Band Zeit für eine ausufernde Version. Anstatt aber, wie am Mittag beim grandiosen Auftritt der Labelkollegen von "Fortuna Ehrenfeld", hier die echten Bläser des Festivals einzufordern, bleibt es bei der Keyboardversion. 



Genug gehadert, natürlich ist ein Konzert von Kettcar toll. Die Band spielt alle Hits, jeden Abend und versteht sich vielleicht eher als Dienstleister. Für eine lange Zukunft, die diese Band verdient hat, sollte aber der Blick nach vorne immer wichtiger sein, als die Reproduktion des bisherigen Werkes. 



Wenn Kettcar diesen Wechsel der Perspektive nicht nur auf Platte sondern auch live spüren lassen würden, wäre der Abend vielleicht nicht so perfekt, aber noch großartiger, für beide Seiten.

Fotos: Denis Schinner
https://desc-photography.com/#  



 

Konzerttagebuch © 2010

Blogger Templates by Splashy Templates