Donnerstag, 30. August 2018

Haldern Pop Festival, 2. Festivaltag, Rees-Haldern, 10.08.18





Freitag kam ich nur ganz schwer aus dem Bett. Ihr müsst wissen, dass ich in Emmerich in einem kleinen Hotel untergebracht war. Emmerich? So weit vom Schuss? Ja! Leider! 3 Monate vor Festivalbeginn war auf booking com schon nichts Näheres zu finden, wirklich jetzt. Nun, ich also in meinem kleinen Hotelzimmer mit beschissen kleinem Bett, hundemüde und mit Blei in den Beinen, aber ich kann nicht einschlafen. Nicht um 2 nicht um 3 und auch nicht um 4 Uhr. Um 5 fiel ich vermutlich zum ersten Mal in einen Tiefschlafphase, ratzte über den auf 11 Uhr eingestellten Wecker hinweg und wachte irgendwann um 13 Uhr auf. 

Das Problem war nun, schnell nach Haldern zu kommen. Allerdings gibt es von Emmerich nach Haldern immer nur einen Zug pro Stunde und den um 13 Uhr 08 konnte ich schon abschreiben. Blieb nur noch der Zug um 14 Uhr 08, den ich dann glücklicherweise erreichte, nachdem ich mir zuvor an der Rheinpromenade 3 (!) doppelte Espressi bei einem italienischen Eiskaffe reingepfiffen hatte ! 





Ich war also wie gedopt als ich in Haldern ankam und stürmte in die Kirche zu den Barr Brothers. Die beiden Amis waren nicht nur dem Namen nach Brüder sondern auch im wahren Leben und wurden vom Stargaze Ensemble über weite Strecken musikalisch begleitet. 



Andrew und Brad Barr kommen aus Rhode Island/USA, leben aber in Montreal, Kanada und sind dort auch am erfolgreichsten. In den Charts aber auch hinsichtlich der gewonnen Awards für ihr Werk welches bisher 3 Alben umfasst.


In der Kirche zu Haldern kam ihre von bildhübschen Harmoniegesängen und warmherzigen Gitarren geprägte Musik besonders gut zur Geltung, der Spielort war tadellos gewählt. Sie versprühten viel Liebe, Hoffnung, Sanftheit und Intimität und obwohl die Kirche sehr voll, war das Publikum vorbildlich still und aufmerksam. Überwiegend gespielt haben sie ihr 2017er Album Queens Of The Breakers (erreichte Platz 29 in Kanada) aber wenn ich mich recht erinnere gab es auch ein Cover von Lhasa, die vor einigen Jahren verstorben ist. Die Barr Brothers hatten einen engen persönlichen und musikalischen Kontakt zu der Sängerin.



Der Auftritt der Barr Brothers in der Kirche war ein Highlight, keine Frage! Und später spielten sie auch noch ein "Geheimkonzert" in einem Zelt auf dem Festivalgelände. Das war ganz anders, viel experimenteller, aber ungemein gut besucht!

Hier ein youtube video eines Mitbürgers namens Wasserturm 68165


Ich blieb dann auch gleich in der Kirche, denn eine ganz besonders Performance stand nun auf dem Programm. Stargaze spielten Instrumentalcover von Fugazi. Das war schon sehr speziell und weit vom Original entfernt, aber dennoch hielt ich es für ein interessantes Experiment und blieb bis zum Schluss.

Auch im Anschluss bewegte ich mich nicht aus der Kirche raus, ich hatte hier richtiges Sitzfleisch entwickelt. Und ich sollte mein Bleiben nicht bereuen, denn nun spielten Wood River zusammen mit dem Cantus Domus.



Woodriver ist ein Jazz Ensemble aus den USA, angeführt von der Saxofonistin Charlotte Greve. Im Internet findet man verdammt wenige Informationen zu ihnen, ich bin weder auf eine Homepage noch eine Facebook Seite gestossen. Im Haldern Magazin "Dat Blatt" gibt es allerdings eine wundervolle Beschreibung des Projekts, der Auto redet von "magischen Klangwelten", "kostbaren Perlen" und einer "sich besonnen entfaltenden Musik, deren Feinheiten sich wie bei der Wahrnehmung einer Landschaft  dem Betrachter erst nach und nach erschliessen."


In der Tat spielte die Band ein sehr erlesenes, sehr subtiles Konzert, bei dem Musiker des Cantus Domus sogar teilweise in den Gängen der Kirche sangen und den Leuten ganz nahe waren. Die Atmossphäre war sehr angenehm und entspannt und am Ende war ich froh, so lange in der Kirche verweilt zu haben.


Später auf der Hautbühne gab es dann ein Wiedersehen mit dem Musikern von Stargaze, sie spielten die sogenannte Hip Hop Challenge mit Rappern der Band The Lytics und das war sehr lebendig und dynamisch. Wirklich mal was ganz Anderes!


Ab 20 Uhr 15 konzentrierte ich mich auf das Geschehen im Spiegelzelt. Hope aus Deutschland standen auf dem Programm. Gesignt bei Haldern Pop Recordings und angeführt von der jungen Sängerin Christine Börsch-Supan, spielte die 4-köpfige Band aus Berlin ein dichtes, düsteres Set, gespickt mit sphärischen Synthie-Rockstücken. Eine dunkle Messe im Schimmerlicht, perfekt um sich an geheimnisvolle Orte zu Beamen. Manchmal dachte ich an Anne Clark, manchmal an andere Ikonen der New Wave Ära. Musikalisch ein Hybride aus Post Punk und Elektro, also eher kalt und distanziert, blieb der Sound der Berliner aufgrund der markanten und nahegehenden Stimme von Christine dennoch  organisch und lebendig.




Am Ende baute sich das kurzhaarige Mädel mit hochgereckten Armen vor dem Publikum auf und liess sich zu recht feiern. Guter Auftritt!

Etwas später im Spiegeltent kamen dann die Freunde schrägen Indie Rocks auf ihre Kosten. Die kultigen Deerhoof standen um.. bereit und boten ihre gewohnt unterhaltsame und originelle Show aus Garagenrock, Japanpop und Noise. Ihr neues Album Mountain Moves (bereits das 16 zehnte (!) wird im September erscheinen und davon spielte das Quartett aus Kalifornien auch die meisten Stücke. Wer die japanische Sängerin von Deerhoof, Satomi Matsuzaki, noch nicht kannte, wunderte sich über ihren eigentümlichen, fast kindlichen Gesang, wer den Drummer Greg Saunier noch nie in Aktion gesehen hatte, war verblüfft von seinem harten, wilden Bums. Ein toller Gig, wenngleich etwas kurz .


Zeitlich genau zwischen Hope und Deerhoof hatten Seun Kuti  and Egypt 80 aus Nigeria eine jazzzig-funkige, bunte, lebensfrohe Show geboten, bei der man zudem extravagant gekleidete Tänzerinnen bewundern konnte, die wundervollen Schmuck und  ein ausgefallenes Make-up trugen. Auf der Bühne war jede Menge los, es war ein grosses Fest, bei dem der Sohn von Fela Kuti und seine Musiker bewiesen, dass man auch Musik aus Afrika mal ein Ohr (und ein Auge, nämlich bei Konzerten) schenken sollte.

Um 22Uhr 15 stand mit Haldern Liebling Villagers aus Irland aber wieder eher Schwermut an.



Connor O' Brien der hinter dem Projekt steckt, ist für seine weinerliche Stimme und seine traurigen Texte bekannt und war bestimmt schon zum mindestens 3. Mal am Niederrhein mit dabei. Seine diesjährige Show war erneut erlesen, warmherzig, melancholisch und fein arrangiert, aber irgendwie wollte dieses Mal der Funke nicht so recht auf das Publikum überspringen. Die Show plätscherte angenehm vor sich hin, ohne dass mein Puls deutlich schneller schlug. Vielleicht war es die Müdigkeit, vielleicht auch der Grösse des Spielortes. Villagers damals im Zelt waren irgendwie heimeliger.



Nils Frahm hatte schliesslich die Ehre, den Abend als Headliner auf der grossen Buhen ausklingen zu lassen. Nils ist ja auch ein alter Bekannter, ich erinnere mich an einen packenden, intimen Auftritt im Tonstudio Keusgen vor einigen Jahren, als er noch deutlich unbekannter war als heute. Inzwischen ist er ja wirklich ein etablierter Musiker, der nicht nur in Deutschland, sondern auch beispielsweise in Frankreich grosse Erfolge feiert und riesige Säle bespielt.


Damals fast noch ein rein klassischer Pianist, hat sich seine Musik heutzutage weiterentwickelt in Richtung Elektro, Folktronica, ja fast Techno. Und was da alles an Material auf der Bühne stand war beeindruckend! Man sah den Berliner Musiker teilweise fast gar nicht mehr hinter seinen Türmen an elektrischen Pianos und analogen Synthesizern! Wikipedia erklärt mir dann auch, dass Frahm seit 2014 mit einem Piano namens Una Corda spielt, was immer auch diese Wundermaschine kann.


Die Bühne von Nils war sehr düster, die vielen kleinen Lichter waren alle stark gedimmt und eine richtige Interaktion mit dem Publikum konnte so gar nicht stattfinden. Stattdessen war es ein Konzert zum Innehalten, Kontemplieren, Schwelgen, bei denen die Leute mit der höchsten Aufmerksamkeit am reichsten belohnt wurden. Angesichts der Uhrzeit (gegen Ende war es fast halb 2!) gar nicht so selbstverständlich, da der Tag lang und reich an feinen Eindrücken war.

Ich blieb dennoch bis zum Schluss, stand dann aber vor dem Problem wie ich nach Emmerich kommen sollte. Züge fuhren schon längst keine mehr und ein Fahrrad hatte ich auch nicht. Blieb mir nur die Wahl eines sündhaft teuren Taxis, das nach langer Warterei auf der Strasse vor den Maisfeldern aufkreuzte. Der Fahrer war nett, er wollte wissen wie mir der Festivaltag gefallen hatte. Und obwohl er keine der aufgetretenen Bands kannte, meinte er: " Haldern Pop ist immer 'ne tolle Sache und alle hier in der Gegend finden die Veranstaltung super, ich auch, obwohl ich persönlich lieber Elektro höre" Nils Frahm kannte er dennoch nicht. Ist vielleicht eher Elektro für Hipster...








 

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