Konzert: Motorama und The Revival Hour
Ort: Le Petit Bain, Paris
Datum: 19.09.2013
Zuschauer: gut besuchte Veranstaltung, ich tippe auf 300 Leute
Motoroma! Seitdem ich die Russen Ende 2012 zum ersten Mal live im Pariser Point Ephémère gesehen habe, kann ich von denen gar nicht genug bekommen. Einen ersten Nachschlag gab es in diesem Jahr vor ein paar Monaten in der Maroquinerie. War ein gutes Konzert, das allerdings nicht ganz an die Wucht und Euphorie des Point Ephémère ran kam.
Wie würde es heute werden? Ich war extrem gespannt, zumal ich den Sommer gemeinsam mit meiner Frau in Russland verbracht hatte und deshalb noch mehr an diesem großartigen Land, seinen Menschen (vor allem den hübschen Frauen!) und seiner Kultur interessiert bin. Und Motorama schätze ich jetzt auch noch mehr, da mir bewusst wurde, daß selbst in einer modernen Stadt wie Moskau gräßlicher Mainstream Pop aus den 80 er Jahren nach wie schwer angesagt ist. Die hören da tatsächlich noch Sandra, Modern Talking und Alphaville! Insofern logisch, daß Motorama, die nicht in Moskau, sonder im in musikalischer Hinsicht noch minder entwickelten Rostow- on- Don am Kaukasus wohnen, ihre Hauptinspiration aus dem Internet beziehen. Musikjournalisten reden faulerweise immer nur von Joy Division als Einfluss, aber Motorama hören etliche ander Sachen, viel Aktuelles, darunter die Franzosen Aline, Police des Moeurs, die gothisch angehauchte Schwedin Molly Nilsson, aber auch Bands von Captured Tracks wie DIIV oder Beach Fossils.
Und das ganze Geschwafel von ähnlichen Bands ist ohnehin unerheblich, denn was zählt ist auf dem Platz! Sprich auf der Konzertbühne! Und da sind Motorama einzigartig gut!
Bis die Russen auf den Platz durften, war es aber noch eine Weile hin. Zunächst standen The Revival Hour an, ein Projekt des mir bereits bekannten DM Stith, welches er mit JM Lapham betreibt. Es gab aber auch noch andere Livemusiker mit auf der Bühne, so daß sich eine ausgewachsene Rockband einem bereits zahlreich erschienenen Publikum präsentierte. Die Gruppe spielte bluesig-düsteren Indierock, der mit seiner Verwunschenheit und seiner speziellen psychedelischen Atmosphäre an Grizzly Bear erinnerte. DM Stith sang hierzu mit seiner makellosen Falsettstimme und drückte der Sache seinen persönlichen Stempel auf. Gute Musiker, ein exquister Sänger und interessante Songs, aber ich hatte nicht besonders viel Geduld mitgebracht, wollte eigentlich am liebsten sofort Motorma hören und sehen.
Die Russen fingen gegen 21 Uhr 30 dann auch endlich an und begannen gleich wie die Feuerwehr. Die Haare der blonden Bassistin flogen wild durch die Gegend und vor allem der Drummer drückte gleich schon ordentlich auf die Tube. Unberechenbarer hingegen Sänger Vlad. Der brummelte mit seiner kautzigen Baritonstimme mal statisch und traumversunken in sein Mikro, rastete dannn aber auch urplötzlich wieder mal total aus. In diesen Momenten schien ihm die Bühne zu klein zu sein und er wusste auch nie wohin er mit seiner Brille solle. Auflassen? Oder mit Brille in der Hand performen? Oder doch gleich am besten an die Seite legen?
Der Sound allerdings ein wenig enttäuschend. Ziemlich dumpf und basslastig kam er aus den Boxen und die Stimme von Vlad hörte man bisweilen kaum. Wie er hinterher sagte, war die Nuschelei aber beabsichtigt, vermutlich um die morbide Atmosphäre seines Gesanges noch zu verstärken. Manchmal hätte sie mir aber deutlich lauter und artikulierter gewünscht und das war auch die vorherschende Meinung anderer Leute nach dem Konzert.
Lässt man diese Schwachpunkte aber mal weg, konnte man letztlich wieder nur Positives beobachten. Die Frische und Tanzbarkeit der Musik war überwältigend, so daß ich ohne Unterlass das Tanzbein schwang, die Songs herrlich melodiös und dabei nie zu bombastisch, die Band unarrogant und ohne Allüren. Man merkte, daß die noch richtig Bock haben, außerhalb Russlands zu touren, neue Fans für sich zu gewinnen und eine gute Zeit zu haben. Zwar wirkte Basserin Airin (oder auch Erin geschrieben) immer mal wieder leicht gelangweilt, aber das deutete ich eher als Schüchternheit als als Ignoranz oder Arroganz. Es ist schon ein Riesenunterschied, eine gehypte Postpunkband aus Großbritannien oder eben Motorama aus Russland zu sehen. Bei den Musikern aus dem ehemaligen Zarenreich gibt es keine affektierten Rockstarposen oder Gehabe, da erfeut man sich eher noch an einer gewissen Ungeschicktheit und Linkischheit, an kleineren Pannen und einer nicht einstudierten Bühnenshow. Dieses Unvorhersehbare macht Motorama interessant und sorgt dafür, daß man bei ihnen nie zweimal das gleiche Konzert sieht.
Die Lieder sind ja ohnehin konkurrenzlos gut und werden live ständig weiterentwickelt und in verbesserten Versionen gespielt. Ob das melancholische To The South, das karibisch anmutende Wind In Her Hair oder ein alter Fetzer wie das unverschämt melodiöse Alps, bei ihnen war jeder Stich ein Treffer. Leerläufe gibt und gab es da keine, Tanznummer wird an Tanznummer gereiht, die Leute hüpfen, schwitzen, johlen vor Freude, haben trotz der schwarzen Note der Musik gewaltigen Spaß. Das war bei bisher allen Konzerten von Motorama so.
So verbrachten wir alle wieder einen prima Abend mit der Band aus Rostov und ich denke, daß auch die Fans in Deutschland von ihren Auftritten begeistert sein werden.
Motorama, baby!!
Setlist
01: Compass
02: Eyes
03: To The South
04: Young River
05: Wind In Her Hair
06: White Light
07: Sometimes
08: Rose In The Vase
09: One Moment
10: Winter At Night
11: Far Away From The City
12: Scars
13: Ghost
14: Alps
15: During The Years