Konzert: Agnes Obel, Florent Marchet und Other Lives
Ort: Le Casino de Paris
Datum: 02.11.2011
Zuschauer: 1400 (Fassungsvermögen 2000, es war also nicht besonders voll)
Guter Konzertabend im Rahmen des kultigen Festival des Inrocks. Klarer Sieger innerhalb der auftretenden Künstler war der in seiner Muttersprache singende Franzose Florent Marchet. Der Kerl hat einen herrlich zynischen Humor und sparte weder in seinen Ansagen noch in seinen Chansons mit bissigen Kommentaren. Er ist ein moderner Kabarettist, der ähnlich wie die Schriftsteller Philipp Djian, Michel Houellebecq und Fréderic Beigbeder, die französische Gesellschaft kritisiert, ja oft karrikiert aber, und das ist besonders schön, sich selbst dabei nie ausnimmt. Vor allem aber ist er ein famoser Musiker mit einem Sinn für fabelhafte Melodien und melancholische Stimmungen.
Mit seinem Stück Eau de Rose hat er mich ganz schön aufgewühlt. Schaut es euch in dieser feinen Session von der Blogothèque an:
Florent durfte aber heute abend nicht als Erster ran. Vor ihm wurden (in meiner Abwesenheit) die Belgier Balthazar (nicht zu verwechseln mit dem einzigartigen Troy) auf das Volk gehetzt, bevor die Amerikaner Other Lives aufliefen.
Eine famose Band, diese Other Lives. Angeblich nach dem deutschen Erfolgsfilm "Das Leben der anderen" benannt, sind sie in den letzten Wochen und Monaten immer bekannter und beliebter geworden.Man spricht inzwischen von ihnen, nein mehr noch, man hört sie und fast jeder findet das aktuelle zweite Album Tamer Animals hervorragend. Von diesem Opus stammte auch heute jedes Stück. Lieder voller epischer Kraft und Würde, wüstensandgetränkt, sentimental, betörend schön. Sie könnten perfekt in einem Soundtrack verwenden werden, erinnern bisweilen an die Westernmusik von Ennio Morricone.
Die Truppe aus Oklahoma hinterließ auch heute in Paris einen exzellenten Eindruck. Wenn man solch starke Songs wie For 12, Tamer Animals, Dark Horse Oder As I Lay My Head Down in seinem Repertoire hat, kann halt eben nicht viel schiefgehen. Orchestral instrumentiert, mit Trompete, Geige und Cello entzückend und bestens arrangiert, trumpfte die Gruppe um Sänger und Songwriter Jesse Tabish auf und gewann etliche neue Fans hinzu. Wenn es etwas zu bemängeln gab, dann war es lediglich, daß man sich ab und zu einen Uptempo Song und eine richtige E Gitarre gewünscht hätte, die dem cinematografischen Wüstenshoegaze mehr Schärfe hätte verleihen können. Vergleichbare Bands wie The National oder Get Well Soon setzen solche Mittel live immer wieder erfolgreich ein und schaffen es so, Bewegung ins Publikum zu bringen. Bei Other Lives hingegen beschränkten sich die Zuschauer heute auf ein festlich leises Zuhören.
Dennoch : OtherLives sind eine sehr positive Erscheinung des Musikjahres 2011 und ich hatte auch noch das Glück, zufälligerweise Jenny Hsu (die süße Celistin) und Colby Owens (der nette Schlagzeuger) in einem Restaurant gleich neben der Location zu treffen.
Nun aber war die Zeit für Florent Marchet und sein Band gekommen. Der Franzose sah zum Schießen aus. Wie ein britischer Gentleman Farmer. Er trug eine Art Knickerbocker Hose mit roten Strümpfen, und einen Pullunder auf kurzem weißen Hemd und senffarbener Krawatte. Dieser kuriose Look war natürlich mit einem Augenzwinkern versehen, wie so einiges andere mehr bei diesem atypischen Musiker. Er hat eine famose Beobachtungsgabe und ein großes Talent, die Marotten der Bourgeoisie aufzudecken und diese überspitzt darzustellen.
Schon gleich zu Beginn äußerte er zynisch: "ach herrlich hier in Paris zu spielen. Nicht in dieser dümmlichen französischen Provinz. Hier in Paris sind die Leute kultiviert, gut angezogen, sehen einfach großartig aus. Selbst im Dunkeln!"
Dann ließ er seine Musik sprechen und diese hatte es in sich. Mit spielerischer Leichtigkeit wechselte Florent vom französischen Chanson zum vom Britpop infizierten melodischen Gitarrenrock, beherrschte aber auch Eletropop und Folk aus dem eff eff. Er ist ein Riesentalent, spielt hervorragend Klavier und Gitarre und ist auch als Performer ganz dufte. Wahnsinn, was für eine Show er heute wieder abzog, wie agil und aufgepuscht er war!
Aber er kann auch ruhig und melancholisch und dann herrscht Taschentuch- Alarm. Als er bei der Ballade Eau de Rose textlich sentimental fragte: (...et je pleure dans tes bras) "Aurons nous des enfants?- werden wir Kinder haben?" , bekam ich feuchte Augen, musste aber kurze Zeit später schon wieder über seine lustigen Sprüche lachen. "Ça va?" fragte er in die Runde, winkte aber die Antwort noch nicht einmal abwartend sofort ab und meinte: "Ist natürlich eine rhetorische Frage. Natürlich geht es euch gut, ihr seit doch hier alle mit dem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen. Schließlich wohnt ihr in Paris, der schönsten Stadt der Welt. Nein, beschweren könnt ihr euch wirklich nicht." Sagte es und widmete das nächste Lied einer gewissen Giulia S, einem winzig kleinen Mädel, das kürzlich von einer hochrangigen deutschen Politikerin einen Teddy Bär von Steiff geschenkt bekommen hat....
Das Set fluschte so richtig schön und hielt Ohrwürmer noch und nöcher bereit, die von den drei vorzüglichen Alben des Franzosen stammten. Zu dem Stephan Eicher Cover Des Haus des Bas stieß dann auch noch Gaetan Roussel von der berühmten Band Louis Attaque mit hinzu, bevor der diskoartige Song La Famille Kinder das euphorisierende Konzert beendete.
Wer sich für französische Musik mit französischen Texten interessiert, sollte sich, soweit noch nicht geschehen, unbedingt mal Florent Marchet anhören.
Den Schlußpunkt unter den heutigen Konzertbend setzen aber die Damen. Die in Berlin lebende Dänin Agnes Obel hatte wie immer ihre Cellistin dabei, aber dieses mal gab es auch eine Harfespielerin, die das klassisch anmutende Klangbild bereicherte. Agnes bestach erneut durch Stimme und gefühlvolles Klavierspiel, konnte mich aber diesmal nicht so packen wie vor einem Jahr in der wesentlich kleineren Boule Noire. Im großen Casino de Paris ging ein wenig die Intimtät flöten und hinzu kam, daß drei Mädels in meiner Nachbarschaft permanent und ungeniert plauderten. Das störte ungemein und ich fragte mich, warum manche Leute nicht eher ins Kino oder ins Café gehen, anstatt die anderen Leute zu nerven.
Hinsichtlich der performten Songs war unbedingt das Cover Katie Cruel zu erwähnen. Agnes verlieh dem traditionellen Stück Inbrunst und Anmut und nahm ihm auch den folkigen Aspekt, der ansonsten immer dominiert, etwa in der Version der Fleet Foxes. Ansonsten ragte On Powdered Ground heraus. Herrlich der langgezogene, hohe, an Kate Bush erinnernde Gesang, herzerwämend das Pianospiel. "Don't break your back on the track", intonierte Obel gleich mehrfach und wurde von Sekunde zu Sekunde immer energischer und intensiver. "Ououhouh, ahaha", greinte sie am Ende und versetzte mir damit sogar eine kleine Gänsehaut.
Dann war Schluß und das Publikum begab sich friedlich und zufrieden Richtung Foyer.
Setlist Florent Marchet, Casino de Paris (merci à Philippe D!) :
01: Courchevel
02: Benjamin
03: Levallois
04: L'eau de Rose
05: L'Idole
06: La Chance de ta vie
07: Qui je suis
08: Hors Piste
09: Narbonne Plage
10: Je n'ai pensé qu'à moi
11: Des Hauts des Bas (Stephan Eicher) avec G. Roussel
12: La Charette
13: La Famille Kinder
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