Mittwoch, 24. August 2016

Haldern Pop Festival, 1. Festivaltag, 11.08.16



Konzert: Haldern Pop Festival, 1. Festivaltag mit Loney Dear, This Is The Kit, Damien Rice, Gloves, Elias, Amber Arcades, The Besnard Lakes, Lea und vielen anderen
Ort: Rees-Haldern am Niederrhein
Datum: 11.08.2016


Fotos: alle Oliver Peel  bis auf Loney Dear: Michael Graef


Mit dem Bus zum Haldern Pop! Und zwar von Paris (!!) aus! Ich fragte mich während der 7stündigen Fahrt (nach Leverkusen) schon ab und zu, wie ich auf eine solch verrückte Idee gekommen war. Aber wenn man die Anreise so spät plant wie ich in diesem Jahr, muss man schon ein wenig erfinderisch sein, um Geld zu sparen und notgedrungen Strapazen in Kauf nehmen. Züge waren viel zu teuer, Fliegen kam kurzfristig auch nicht in Frage, also blieb der Flixbus. Und die Reise lief letztlich erstaunlich entspannt, denn ich sass glücklicherweise neben einem netten Kölner Mädel mit dem ich mich angenehm unterhielt. So verging die Zeit  letztlich wie im Fluge und ich kam guter Laune spätabends in Leverkusen an, wo mich freundlicherweise mein Mitblogger Dirk abholte und mich anschliessend auch bei ihm in Mönchengladbach  beherbergte. 


Zusammen mit seinem Kumpel Michael machten wir uns dann am Donnerstag morgen auf den Weg nach Haldern. In Mönchengladbach sah das Wetter am Vormittag noch sonnig und freudlich aus, aber je mehr wir uns dem Niederrhein und Haldern näherten, umso schwärzer wurde der Himmel. Zu Beginn des Festivals gegen 15h regnete es dann bereits leicht und in der Folge sogar stark. Anfänglich machte mir das nicht viel aus, da ich zwischen Konzerten in der Kirche und der Bar hin und her pendelte, aber als es später über die wundervolle Alleenstrasse an Maisfeldern vorbei zum Spiegelzelt und der Hauptbühne ging, störte der Regen doch irgendwann massiv. Als dann gegen 21 Uhr 30 Uhr Elias spielte, war meine Laune ob der dargebotenen cheesigen Musik, meiner extremen Müdigkeit und des Dauerregens auf dem Nullpunkt. Weil ich Kräfte für die nächsten 2 Tage sparen wollte, entschied ich mich aus dem Bauch heraus auf die interessanten Kanadier Besnard Lakes und sogar den Headliner Damien Rice zu verzichten. Bei mir lief einfach nichts mehr zusammen und ohne Gummistiefel im Morast des Haldener Waldgeländes zu stehen und bis 1 Uhr 30 auszuharren, schien mir abschreckend. Hinzu kam, dass meine Pension "jwd" war, genauer gesagt 25 Kilometer entfernt und in einer Nachbargemeinde von Emmerich ("wer zu spät kommt, den bestraft das Leben", oder so, gell ?).


Im Lauf des Nachmittages hatte ich aber ein paar sehr schöne Konzerte gesehen, die mich mit Glück und Dankbarkeit erfüllten. This Is The Kit möchte ich hier mal an erster Stelle nennen! Die in meiner Wahlheimat Paris lebende Britin Kate Stables, die hinter dem Pseudonym steckt, hatte ich bereits ein paar Stunden vor ihrem Auftritt in der Nähe der Maisfelder zufällig getroffen. Sie war gerade zusammen mit ihrer Mitmusikerin Rozi Plain auf dem Weg zum Hotel Doppeladler wo die beiden untergebracht waren. Kate erzählte mir, sie habe seit Montag bereits mit den Stargazern intensiv geprobt, um ein paar  ihren Lieder in einem neuen, klassisch-orchestralen Gewande zu präsentieren. 


Das Konzert fing um 18 Uhr 40 an und hielt vollkommen meine hohen Versprechungen. Das vorbildlich leise Haldener Publikum sah in der Kirche ein feierliches, charmantes und naturbelassenes Konzert, welches perfekt zu dem wundervollen Rahmen passte. Die Lieblichkeit der Stimme von Kate gepaart mit dem Damenchor liess einen wirklich oft an Engel denken. Miss Stables hat bereits 3 Alben auf ihrer Habenseite (das letzte wurde von einem der Dessner Brüder von The National produziert), aber das in Haldern gespielte Material war neu und unveröffentlicht. So kam auch ich, der This Is The Kit schon etwa 15 Mal live gesehen hatte, in den Genuss neuer Töne, die einmal mehr die Exzellenz der Dame aus Winchester unter Beweis stellten. Die Stücke hat sie dieses Jahr schon ein wenig auf Festivals und in Clubkonzerten getest und sie hiessen unter anderem Ticks oder Moonshine Freeze und reihten sich nahtlos ein in das wundervolle Repertoir der Folkeuse, das vor intimen und berührenden Liedern nur so strotzt. Kate Stables hatte mit Rozi Plain und ihrem kahlköpfigen Gitarristen nur 2 Bandmitglieder dabei, aber durch die Truppe von Stargaze ergänzt, standen so viele Musiker wie nie zuvor mit ihr gemeinsam auf der Bühne.



Gespielt wurden schliesslich nur 6 Lieder, aber die hatten es in sich und ich bin sicher, dass Kate wieder neue Fans hinzugewonnen hat, Guy Garvey von Elbow ist bereits glühender Anhanger und Matt Berninger von The National auch. Wenn das keine Referenzen sind!

Setlist:

2 Pence
Thieves
Moonshine Freeze
Ticks
Numbers 
Hotter colder 


Nach This Is The Kit war es erste Bürgerpflicht, in der Kirche zu bleiben. Schliesslich spielte nun Halderns liebstes Kind auf, der Schwede Emil Svanängen alias Loney Dear. Der feinfühlige Singer Songwriter kommt nun schon seit etlichen Jahren an den Niederrhein aber zuletzt war es bedrohlich still um den Sänger mit der Kopfstimme geworden. Bisweilen dachte ich gar an ein Karrierende. Zum Glück erwiesen sich solche negativen Gedanken aber als abwegig und als ich Emil bereits mittags mit dem Fahrrad vor der Haldern Pop Bar sah, war ich erleichternd und erfreut festzustellen, dass es ihn noch gab. Bart und Bauchumfang sind bei ihm im Vergleich zu früher etwas gewachsen, aber sein neuer Look verleiht im Würde und Eleganz, er erinnerte mich auch an John Grant von den Czars. 

Und Emil zitierte im Laufe seiner Show noch mehr Musiker auf die Bühne als zuvor This Is The Kit, denn bei dem abschliessenden absolut wundervollen Beautiful Girl Ignorant Boy hatte er nicht nur das Stargaze Orchester sondern auch den Cantus Domus Chor als Verstärkung mit dabei. Emil selbst spielte Klavier, sang mit perfekter Falsettstimme, während ein Dirigent den "Namanamana-Chor" dirigierte und die klassischen Musiker den Raum mit himmelhochjauchzenden Klängen erfüllten.

Das war nicht lediglich das Abspulen eines alten Albumtitels, sondern eine komplette Neuinterpretation mit völlig neuem Arrangement, langen Instrumentalpassagen und traumhaften klassischen Tönen, äusserst subtil und geschmackvoll interpretiert.

Aber auch die Stücke die zuvor performt worden waren hatten es in sich. Berührende Klassiker wie My Heart oder Violent wurden zum Besten gegeben, aber auch meiner all time Favoriten I love you (in with the arms). Die Schmonzette klang noch genauso atemberaubend intim und nahegehend wie eh und je und ich fragte mich, wie ich es so lange ohne ein Livekonzert von Loney Dear ausgehalten hatte.

Schliesslich kamen auch Neulinge nicht zu kurz, denn es sollte ja auch einen Vorgeschmack auf das neue, bald erscheinende Album geben.

Erwähnt werden soll hier (neben Dark Light) stellvertretend das geniale abschliessende Hulls, das wahnsinnig melancolisch war, von dem Piano, dem Frauenchor und der anrührenden Stimme von Emil getragen wurde. Es war dramatisch, aber nie bombastisch, berauschte durch eine sensationelle Melodie, einen bewegenden Text und eine Feinfühligkeit, die seines Gleichen suchte. Kate Stables bezeichnete Loney Dear hinterher glatt als Genie. Sie hatte ihn ja bei den Proben mit den Stargazern mehrfach getroffen. Svanängen selbst sagte während des Konzertes mehrfach voller Dankbarkeit: "this is so much fun, this is so fantastic".




 


Mit This Is The Kit Und Loney Dear habe ich also die zwei besten Konzerte des ersten Tages (innerhalb derjenigen die ich gesehen habe natürlich) erörtert, bleibt noch der Auftritt der Holländer Amber Arcades zu besprechen, der ebenfalls hervorstach. Die 5 Musiker aus Utrecht spielten bereits um 15 Uhr 30 in der Haldern Pop Bar auf und waren mein erstes Konzert und gleichzeitig mein erstes Festivalhighlight. Begeisternd ihre Melodien, entwaffnend der Charme der kessen blonden Sängerin Annelotte de Graaf, Laune machend ihre Frische und Unverbrauchtheit. Die junge Dame und die vier Herren sorgten  für ordentlich Schwung und eine brechend volle Bar, in die längst nicht jeder reinkam der gerne wollte. Aber man hörte ja auch draussen vor dem offenen Fenster ein wenig von der tollen Musik die drinnen gespielt wurde, wenngleich dies freilich nicht einem echten Konzertgenuss gleich kam. Ich persönlich war gut positioniert, hatte ein Plätzchen weit vorne ergattert und war mittendrin im Geschehen. Hier muste man wirklich dabei sein, denn mit Amber Arcades hatten die Haldern Macher wirklich einen wohlschmeckenden Fisch an Land gezogen und zwar kein banales holländisches Matjesfilet, sondern etwa viel Edleres aus dem Hause Heavenly Records! Shoegaze, Dreampop, Indierock so die Zutaten und selbst wenn diese nicht nagelneu waren, klang doch das Ergebnis nicht wie Wiedergekautes, sondern frisch, sonnig, spritzig und herrlich lässig. Die Spielfreude war den Niederländern anzumerken und besonders Sängerin Annelotte schwärmte von dem Gefühl endlich mal in dieser legendären Pop Bar auftreten zu können in der sie in den Vorjahren schon so viele andere Musiker und Bands live als Festivalbesucher erleben durfte. Besonders in Erinnerung geblieben war ihr der Gig von Josh Pearson vor 4 Jahren, bei dem Josh ihr in seiner etwas bizarren (aber gutmütigen) Art irgendwas Wirres zugeraunt und sie ziemlich durcheinander gebracht hatte.


Neben eigenen Songs des Albums Fading Lines (u.a das herrlich luftig leichte Right Now) spielten Amber Arcades auch ein Nick Drake Cover, Which Will, aber folkig klang hier trotzdem nichts, die Holländer hatten dem alten Stück ihren eigenen popigen Stempel aufgedrückt.

Etwa 40 Minuten Konzert, keine Sekunde Langeweile und etliche gute Songs, mein erstes Konzert beim diesjährigen Haldern Festival hätte kaum besser laufen können!


Ebenfalls in der Bar hatte die deutsche Sängerin Lea (Lea Marie Becker) irgendwann zwischen 17 und 18 Uhr gespielt. Im Jahre 2016 sind Musiker die auf deutsch singen inzwischen eher rar gesät und ausser auf der Hauptbühne erinnere ich mich eigentlich an gar keinen Auftritt in den kleinen Venues in Haldern. Insofern fast ungewohnt mit der Muttersprache bei einem Konzert konfrontiert zu werden. Wie immer kam sofort der Reflex die Texte viel genauer und kritischer unter die Lupe zu nhemen, als dies bei englischen Parolen der Fall wäre. "Nach der Ebbe kommt die Flut, mit der Zeit wird alles gut" (die Segel sind gesetzt), ich bin dein Festland, dein leuchtender Turm, ich bring dich gut aus diesem Sturm". War das jetzt feine Dichtkunst, oder das Aneinanderreihen abgedroschener, hohler Phrasen ?


Stimmlich war das Ganze schon ziemlich hübsch, die junge Blondine mit dem kessen Pagenschnitt hatte ein hauchendes, wehmütiges Organ, das manchmal auch ein wenig energischer wurde und sich in höhere Tonlagen aufschwang. Dennoch hatte ich gemischte Gefühle, denn ihre Art zu singen flirtete auch mit dem Mainstream (bzw dem Schlager?) und drückte bisweilen arg seicht auf die Tränendrüse. Man fühlte sich fast ein wenig genötigt, das jetzt bewegend und berührend finden zu müssen, ähnlich wie in den englischen Vorweihnachtskomödien, die einen förmlich anschreien: "Habe ein Herz, Oliver! Weine jetzt! Das ist doch so romantisch! Spiel nicht den Harten!"

Bei Kennst Du Das? (ein Lied das man in Akustikversionen schon vor 4 Jahren auf youtube finden konnte) hatte Lea mich fast um den Finger gewickelt ("gib mir deine Hand, lass sie mich halten solang ich kann"), die lustige Nummer mit ihrer Tante und dem vergessenen Hund (17 Stunden lang) fand ich hingegen musikalisch etwas flach, obwohl die Story dazu auf tragische Weise amüsant war. Armer Labrador Lilly! 17 (!!) Stunden vor einem Supermarkt vergessen, unfassbar!


Am Ende wusste ich nicht so recht, was ich denken sollte. War das jetzt auf berührende Weise schön, intim und gefühlsecht oder eher seicht, gekünstelt und übertrieben sentimental?


In der Haldern Pop Bar hatte ich an jenem ersten Tag aber auch noch ein paar Schnipsel von einem anderen Konzert gesehen: den Soulsänger Samm Henshaw hatte man mitsamt seiner Band von der Kirche dorthin verlegt, in der er gegen 19 Uhr loslegte. Ein gutaussehender Bursche mit Hut, lässig, ausgestatt mit einer rauchigen Stimme und von so einigen als Geheimtipp gehandelt. Ein talentierter Kerl in der Tat, dessen Konzert ich aber dennoch nach 10 Minuten verliess, weil ich zu Loney Dear in die Kirche rüberwollte.


Und in genau jener Kirche hatte gegen 16 Uhr 30 auch noch ein paar Lieder der Britin Cloves gehört. Stimmlich eine Kreuzung aus Adele, Laura Marling und Lana Del Rey, war sie mir zu soulig-bluesig (eine Folge der Castingshows wie The Voice oder The X -Factor, in denen solche Stimmen immer der Renner sind??), obwohl man ihr ebenfalls Talent attestieren konnte. Sie spielte zusammen mit einem Gitarristen.

Wie oben erwähnt endete mein erster Tag in Haldern im Spiegelzelt nach dem Konzert von Elias. Müdigkeit und die Regenfälle hatten mir den Rest gegeben. Aber es standen ja noch zwei verheissungsvolle Tage bevor...





1 Kommentare :

SigurRósFan hat gesagt…

Da du die Setlist von This Is The Kit gepostet hast, wollte ich noch folgendes fragen: Weißt du zufällig, wie der Song heißt, bei dem Stargaze am Ende mitgesungen hat? Ich würde auf "Numbers" oder "Hotter/Colder" tippen, kann es aber nur raten.

 

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