Dienstag, 25. November 2014

Morrissey, Essen, 24.11.14


Konzert: Morrissey
Ort: Colosseum, Essen
Datum: 24.11.2014
Dauer: Morrissey gut 85 min (abgebrochen), Anna Calvi 42 min
Zuschauer: knapp 1.500 (ausverkauft) - darunter 10 Idioten 



"Remember me, forget my fate", zitierte Morrissey Klaus Nomi, als er mit seiner Band wieder auf die Bühne kam, um Zugaben zu spielen. Es wäre einer der emotionalen oder aufwühlenden Momente gewesen, wären nicht Augenblicke später einige Schwachköpfe auf die niedrige Bühne geklettert, um die Aufmerksamkeit, die sie in ihren langweiligen Leben nicht bekommen, vor 1.500 Zuschauern zu erfahren. Morrissey hatte die erste Zeile von Everyday is like sunday noch nicht beenden können, als er sich von allen Seiten bedrängt sah und die Bühne eilig verließ. Die Band folgte einen Augenblick später - das Konzert war nach gut 85 Minuten beendet.


Schade, daß ein sehr schöner Abend so endete. Und leider bleibt ja genau das hängen. So wie eine tranig schmeckende letzte Pistazie im Beutel.



Wären die Menschen ohne Kinderstube nicht gewesen, würde ich mich an dieses vermutlich letzte meiner Morrissey-Konzerte ganz anders erinnern. Als eines in einem überraschend schönen und kleinen Saal (in das Colosseum passen nicht einmal 1.500 Leute!), mit einem blendend aufgelegt wirkenden Sänger, der die Schwächen in der Setlist mit seinen Entertainer-Qualitäten wegwischte!


Vor dem Konzert hatte ich Bedenken, daß die Stimmung in dem bestuhlten ehemaligen Industrie-Bau nicht gut werden könne. Als wir nach herrlich unkompliziertem Einlass auf unseren Plätzen in der neunten Reihe ankamen, wurden die nicht kleiner. Die Sesselreihen waren zu dicht hintereinander, um Stimmung aufkommen zu lassen, dachte ich. Noch dazu diskutierten die Ordner mit jedem, der nach dem Anna Calvi Support vorne stand, daß er sich bitte setzen möge. Als Morrissey um neun auftrat, stand allerdings jeder auf und von verhaltener Stimmung war nichts zu merken. Das war die angenehme Niederlage der Securities.


Eröffnet hatte den Abend die Engländerin Anna Calvi. Wie üblich waren die Veranstalter nicht in der Lage, die Anfangszeiten anzugeben. Auf Nachfrage im Colosseum erhielten Gäste wohl die Auskunft, Anna Calvi gehe um acht auf die Bühne. Sie begann aber bereits um 19:45. Bei früheren Morrissey-Supports mag das niemand gestört haben, Anna Calvi kam aber bei der überwiegenden Mehrheit der Zuschauer gut an, sie und ihre drei Begleiter bekamen mehr als nur höflichen Applaus.


Die Musik der Britin ist eigentlich weit jenseits meiner Bluesrock-Toleranzschwelle. Sie hatte mich aber schon in Haldern und in Köln 2011 beeindruckt. Ein Großteil des Konzerts kam mir auch wie die damaligen vor. Obwohl Anna 2013 ihr zweites Album One breath veröffentlicht hat, das hervorragende Kritiken erhielt (das ich aber bisher ignoriert habe), waren die meisten Stücke älter. Jezebel, Desire, First we kiss, Love won't be leaving und Blackout waren dann auch mit Abstand die besten Lieder des Sets. Schon gut, daß Kristeen Young Morrissey verhext hat (wenn ich das richtig verstanden habe) und nicht mehr als Lieblingssupport eingesetzt wird.

Setlist Anna Calvi, Colosseum, Essen:

01: Suzanne and I
02: Eliza
03: Cry
04: Surrender
05: Blackout
06: First we kiss
07: I'll be your man
08: Desire
09: Love won't be leaving
10: Jezabel (Frankie Laine Cover) 

In der Pause lief eine neue Auflage des Zusammenschnitts von Musik, Interviews und Filmausschnitten. Nach den Ramones, Chris Andrews oder den New York Dolls kam am Ende vom Band The bullfighter dies ("gaga in Malaga") und dazu Stierkampf-Videos, in denen der Stier gewann. Die brutalen Bilder waren verstörend. Sie waren aber auch wieder aus meinem Kopf raus, als Augenblicke später Morrissey in einem 50er-Jahre US-Mechaniker Hemd (ich alter Modeblogger!), seine Band in weißen Hemden mit Hosenträgern auf die Bühne kamen und mit Suedehead eröffneten. Ich hatte gehofft, das endlich live zu hören, es war toll! Morrissey war der gewohnt große Entertainer, er schmiss das Mikrokabel, guckte theatralisch, litt mit jeder Zeile des Abends mit, berührte viele Hände, ohne sich (wie vor ein paar Jahren) danach angeekelt die Hand and der Hose abzuwischen. Es war gut! Richtig gut!


Daß die Lieder der neuen Platte nicht wie gehofft live besser zünden als auf Platte, war da egal. Einige sind gut, einige langweilig - in der Essen-Setlist war das Verhältnis neu-alt leider zu sehr Richtung neu ausgerichtet. Aber das wäre nicht weiter ärgerlich gewesen, da dazwischen ja immer wieder Perlen zu finden waren, meist alte Perlen. The Queen is dead oder How soon is now? von den Smiths, die B-Seite Yes, I'm blind (von Ouija board, ouija board), Trouble loves me. Lediglich das wundervolle I'm throwing my arms around Paris war sehr kurz und hatte ein lustloses Ende.


Das mit Abstand lahmste der neuen Stücke ist Kick the bride down the aisle, das dazu noch schrecklich lang ist. In der Zeit hätte man vier Freundinnen im Koma beweinen können. Oder fünf. 



Vor Meat is murder wurde es wieder aufwühlend. "I'm not American! They celebrate Thankskilling. Can anybody with a working brain tell me why?" Zu dem Smiths-Stück liefen Videos über Tiermißhandlungen in der Lebensmittelindustrie, nach "Produktgruppen" unterteilt. "Eggs", "Dairy", "Poultry." Morrissey stand in der langen Instrumentalphase in der Mitte mit hinter dem Kopf verschränkten Armen direkt vor der Leinwand, noch jenseits des Schlangzeugers und guckte zur Dokumentation.

Musikalisch kam danach mein Highlight, Speedway von Vauxhall and I von 1994. Das Stück, das Langzeit-Gitarrist Boz Boorer (von Morrissey als "more in hope than in anger" vorgestellt) geschrieben hat, hatte ich noch nicht bei einem Konzert gesehen und als (heimlich) bestes Stück des Abends empfunden!

Und dann kam Klaus Nomis melancholisches Zitat, das vor dem Hintergrund, daß eine weitere Tour auch unabhängig von Morrisseys Erkrankung höchst unwahrscheinlich war, noch eine Spur trauriger wirkte. Bevor aber da zu viele Grübeleien entstehen konnten, vertreuten die Irren diesen Kloß-im-Hals-Moment.


Weil es bei so einem ADHS-Ausbruch ja wohl um Aufmerksamkeit geht, bekommt Ihr die jetzt noch einmal: Idioten, Idioten, Idioten!

Setlist Morrissey, Colosseum, Essen:

01: Suedehead
02: Staircase at the university
03: The Queen is dead (The Smiths)
04: Kiss me a lot
05: I'm throwing my arms around Paris
06: World peace is none of your business 
07: Scandinavia
08: Earth is the loneliest planet
09: Istanbul
10: One of our own
11: Trouble loves me
12: How soon is now? (The Smiths)
13: Yes, I'm blind
14: Neil Cassady drops dead
15: Kick the bride down the aisle
16: Meat is murder (The Smiths)
17: Speedway

18: Everyday is like sunday (abgebrochen nach wenigen Takten) (Z)

Links:

- aus unserem Archiv:
- Morrissey, Lüttich, 05.07.12
- Morrissey, Dublin, 31.07.11
- Morrissey, Köln, 11.06.09
- Morrissey, Offenbach, 09.06.09
- Morrissey, Esch, 05.06.09
- Morrissey, Lille, 19.01.08
- Morrissey, Frankfurt, 12.12.06
- Morrissey, Paris, 25.08.06
- Anna Calvi, Karlsruhe, 05.08.14
- Anna Calvi, Paris, 14.02.14
- Anna Calvi, Paris, 07.11.11
- Anna Calvi, Köln, 05.10.11
- Anna Calvi, Saint Cloud, 29.08.11
- Anna Calvi, Haldern, 11.08.11
- Anna Calvi, Paris, 04.11.10
- Anna Calvi, Paris, 22.06.10
- Anna Calvi, Paris, 15.06.11





5 Kommentare :

Lenni hat gesagt…

"eine weitere Tour auch unabhängig von Morrisseys Erkrankung höchst unwahrscheinlich war"

Wieso ist dem denn so?

Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass er wieder gesund wird(so richtig gut sind wir ja auch nicht über seinen Gesundheitszustand informiert).
Und wieso sollte er dann nicht noch öffters Touren (vlt. sogar ein weiteres Album veröffentlichen?) Meine Hoffnung stirbt zuletzt.

Bitte brecht kein Fanherz...

PS schöner Artikel, vielen dank

Rainer Haselier hat gesagt…

Schöner Artikel, wohl wahr. Jeder beurteilt die Setlist bei gefühlten 500 Songs anders,aber nun gut.
"This Town Ain't Big Enough for Both of Us"...2-3 Umarmungen lass ich zu, danach ist Schluss. Idioten hin oder her, Morrissey schürt seinen Personen-Kult selbst. Wer auf Konzerten nicht mehr Zuneigung will, besorgt sich ausreichend Security....oder feiert sein Image auf diese Weise. Ich war auch über das Ende enttäuscht, hätte die zwei Lieder gerne noch gehört. Er ist wie er ist (das Recht nehm ich mir auch) und seine (und Johnny M.) Lieder bleiben für immer. Wer es einfach will....hört Mainstream... Danke für alles

Oliver Peel hat gesagt…

Sehr gute Fotos von Morrissey ! Das Bild von Anna Calvi finde ich allerdings sehr unvorteilhaft für sie. Hast du da kein Besseres ? Informativer Artikel auch. Die Setlist ähnelt der von Paris und die empfand ich auch als eher enttäuschend.

André hat gesagt…

Weiß jemand zufällig wie die (Punk-)Band aus dem Vorfilm/Filmausschnitten direkt vor dem Konzert heißt? Ich meine jetzt nicht die New York Dolls.

Guido hat gesagt…

Sehr schöner Bericht , danke.

Ich finde allerdings die neuen Lieder weder auf der cd noch auf dem Konzert langweilig. Ich fünf sie sehr emotional gesungen .

Ich fand das Ende schade, aber das ist doch bei morrissey immer so, seit all den jähre nunc er liebt es doch eigentlich auch, oder?

Guten Mischung zwischen und alten und neun Songs.

Ich denke und hoffe wir werden ihn noch öfters erleben.

Guido

 

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