Montag, 19. März 2012

Nór, Paris, 18.03.12


Konzert: Nór
Ort: ein Wohnzimmer in Paris, aber nicht mein eigenes

Datum: 18.03.2012

Zuschauer: 13

Konzertdauer: etwa 35-40 Minuten



Es gibt schon verrückte Zufälle im Leben und wenn sie so schön und emotional bereichernd sind wie dieser, lohnt es sich wirklich, jeden Tag mit Frohsinn, Neugierde und Hoffnung anzugehen.



Beim gestrigen Konzert von Timber Timbre hatte ich zufällig zwei (später dann drei) sehr charmante Mädchen aus Dänemark kennengelernt, die mir erzählten, daß sie selbst Musik machen und sogar am heutigen Sonntag ein kleines Konzert in einem Pariser Wohnzimmer geben würden. Johanne, die Klarinettistin der Band mit dem umwerfenden Augenaufschlag und der fetzigen New Wave Frisur, notierte mir alle Infos die ich brauchte auf einen kleinen Zettel und sagte mir, ich solle um 21 Uhr kommen.


Noch in der Nacht von Samstag auf Sonntag hörte ich mir die Songs der Däninnen, die sich Nór nennen und eigentlich auch noch einen männlichen Keyboarder haben, in Ruhe via Bandpage an. Ich war schon nach ein paar Noten hingerissen. Die Musik übte magische Wirkung auf mich aus, war so charmant, feenhaft, betörend und mit solch lieblichen Stimmen vorgetragen, daß ich keine reuigen Gedanken mehr daran verschwendete, an diesem Sonntag das Konzert von Xiu Xiu zu verpassen.


Der Sonntag Abend rückte näher und rein zufällig warf ich noch eimal einen Blick auf die Pinnwand von Nór auf Facebook. Da sah ich plötzlich in einem kurzen und knappen Kommentar, daß das Konzert nicht um 21, sondern bereits um 20 Uhr beginnen sollte. Au weia, plötzlich geriet ich in Eile! Ich wollte eigentlich ausgiebig auf meinem Stepper trainieren, musste aber frühzeitig unter die Dusche und war plötzlich so unter Zeitdruck, daß ich ein Taxi nehmen musste, wollte ich nicht zu spät kommen und riskieren, die Homeshow, auf die mich doch so gefreut hatte, zu verpassen. Ich war inzwischen ziemlich genervt, weil ich am Geldautomaten feststellte, daß meine Kreditkarte weg war und kurze Zeit später auch noch von einer alten mürrischen Taxifahrerin abgewiesen wurde. Die doofe alte Ziege kannte die angegebene Adresse nicht und schnauzte mich an, sie hätte kein Navi, ich solle gefälligst ein anderes Taxi nehmen. In ihren Stadtplan zu gucken, war ihr zu lästig. Wohl oder übel musste ich auf ein anderes Taxi warten. Dieses war zwar mit einem Navi ausgestattet, aber wir kamen so langsam voran, daß ich innerlich den lethargischen Fahrer, den zähen Verkehr und ganz Paris verfluchte.


Erst kurz nach halb neun kam ich an und gelangte wie beschrieben durch einen kleinen, begrünten Innenhof (sehr idyllisch!) zur Wohnung, wo das Konzert schon angefangen hatte. Ich stieß die Tür so leise ich konnte auf und setzte mich auf den nächstbesten Stuhl. 11 Zuschauer waren im Raum, 9 von ihnen weiblich und meistens skandinavisch. Ich konnte mich also wahrlich nicht beklagen, zumal die drei Mädchen auf der Bühne auch enorm süß und sehr leibreizend waren.


Aber es ging hier nicht in erster Linie um schnöde Äußerlichkeiten. Die Musik an sich und die anmutige und herzerwärmende Darbietung waren viel wichtiger. Die drei Künstlerinnen, Naja (Akustikgittare, Gesang, normalerweise Kontrabass), Johanne (Klarinette, Kalimba, Gesang) und Sigrid (Mandoline, Gesang) sangen wahnsinnig hübsch und erfüllten den kleinen gemütlichen Raum mit Eleganz, Virtuosität und Sanftheit. Sie entführten uns Zuschauer in eine Märchenwelt, in der alltägliche Ärgernisse keinen Platz hatten. Hier herrschten pure Schönheit, Reinheit, Zauber, Grazie, Ebenmaß und Feinheit vor. Mein Herz pochte wie wild und ich musste mich stark konzentrieren, um ein paar vernünftige Fotos zu schießen. Der Vortrag war so subtil und leise, daß ich immer ein schlechtes Gewissen hatte, wenn ich mit Blitzlicht agierte, aber es ging nicht anders, das Licht war zu gedämpft.


Die drei Mädels trugen Lieder ihres ersten Albums vor, daß sie in einer Auflage von 300 handgestalteten CDs in Eigenregie selbst rausgebracht hatten. Zuvor hatte es zwar bereits eine EP namens Medicine Man gegeben, aber diese ist vergriffen und war leider nicht mehr zu haben.

Mit Hibernation, dem Opener des Albums, hatten Nór das heutige Wohnzimmerkonzert begonnen. Eine wundervolle Ballade, sehr stimmunsgvoll, verwunschen und feierlich, gesungen mit den schönsten, himmelhochjauchzenden Stimmen der Welt. Johanne, Sigrid und Naja schufen Harmoniegesänge, die Engelschören glichen. Das Paradies war plötzlich so nahe. Natürlich war die heutige Akustiversion anders als die Albumversion, auf der mit mehr Keyboards und Instrumenten operiert wird, aber beides hat seinen Reiz.


Wovon wir bei Nór stilistisch reden? Welche Bands und Künstler ähnlich klingen? Gar nicht so leicht zu sagen, denn die Däninnen haben wirklich ihr ganz eigenes Universum. Ist das vielleicht Kammerpop mit leicht jazziger Note? Barocker Folk? Dream Pop? Folktronica? Hmm. Nach einigem Überlegen kamen mir zumindest ein paar Referenzen in den Sinn. In erster Linie Hanne Hukkelberg , auch Björk, Mum, My Brightest Diamond, Coco Rosie, Joanna Newsom, Soap & Skin, Under Byen, Soley. Aber das waren nur Anhaltspunkte, um das Ganze ein wenig einzuordnen.

Aber sprechen wir doch ganz konkret noch von ein paar gespielten Liedern. Rallovic ("touch me with your breath, let us feel the moments rebirth and death") z. B. Ein sehr poetisches, sanftmütiges Stück, bei dem die Chöre am Ende himmalajahoch in den Himmel emporstiegen und ähnlich wie bei Julianna Barwick einem ganzen Kirchenchor glichen. Zwar fehlte hier und heute der Kontrabass, den Naja normalerweise spielt, aber das war nicht weiter tragisch. Auch so war der Genuß unvergleichlich und gegen Ende wurde das Stück immer schneller und schneller.

Rallovic by Nór

Medicine Man schließlich änderte die Stimmung, war ziemlich düster und mystisch, fast bedrohlich.

Medicine Man - EP version by Nór

Gegen Ende kam dann auch noch eine Kalimba zum Einsatz, wurde das eigentlich nicht auf der Setlist vorgesehene Orca (Killerwal) gespielt und als Zugabe der Charthit Halo von Beyoncé neu und originell interpretiert.

Dann war leider schon Schluß, aber man konnte sich durch den Kauf der mit viel Liebe zum Detail gestalteten CDs trösten. Sie erinnerten an Papierflieger und wiesen jeweils ein unterschiedliches Design (aus alten Büchern hergestellt) auf.

Nór waren eine sensationelle Entdeckung und ich danke dem lieben Gott (wenn es ihn denn gibt), das ich in den Genuß dieses feinen Konzertes kommen durfte!

Wow,wow, wow!!!







Setlist Nór, Wohnzimmerkonzert, Paris:

01: Hibernation
02: Rallovic
03: The Story Of Mr. And Mrs X
04: Medicine Man
05: Orca
06: Little Girl

07: Halo (Beyoncé)



3 Kommentare :

E. hat gesagt…

ausgezeichnet! pariser hochkultur einfühlsam und empathisch vorgestellt. toll!
ich brauche wohl nicht extra anzuführen, dass mich solcherart acts sehr reizen und ich ein handgebasteltes album nur allzu gern mein sammlung zuführe?

Oliver Peel hat gesagt…

Danke, Eike!

Eine handgefertigte CD besorge ich dir gerne. Hast du das zweite Video gesehen? Da kann man die Bastelarbeiten bewundern.

Markus Berlin hat gesagt…

Oh - so ein Album hätte ich auch sehr gerne :)

 

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