Mittwoch, 17. Februar 2010

Arborea, Paris, 16.02.10


Konzert: Arborea (Dave Olliffe & Frédéric D. Oberland)
Ort: ein Wohnzimmer irgendwo in Paris, Oliver Peel Session # 17

Datum: 16.02.2010

Zuschauer: 30-35
Konzertdauer: Arborea alleine schon 1 Stunde 20!



Als es vor einer Stunde an der Tür klingelte, stockte mir der Atem. Au weia! Wenn das der Boss von der Hausverwaltung war, dann wusste ich was er will: sich im Namen der Mieter und Wohnungseigentümer darüber beschweren, daß gestern gegen 22 Uhr 15 ein höllischer Lärm aus unserer Wohnung drang und das ganze Gebäude erschüttern ließ.

Zum Glück war es aber nur der Paketdienst, der uns geordertes Olivenöl lieferte. Puhh! Was war nun vorgefallen an jenem 16. Februar? Tja, es gab mal wieder eine Oliver Peel Session in unserer Bude. Und ausnahmsweise fiel sie auf einen Wochentag. Terminlich war es nicht anders möglich, daß amerikanische Folk Pärchen Arborea zu kriegen. Buck und Shanti Curran waren auf ausgiebiger Europatournee mit Stationen in Frankreich, Spanien und Italien und eigentlich hätten sie am 16. Februar in Brüssel spielen sollen. Doch der Termin fiel ins Wasser und somit war der Weg für uns frei. Nachträgliches Glück nennt man das wohl, denn ursprünglich sollten sie bereits Ende Oktober bei uns auftreten. Alles war ausgemacht, ein Datum gefunden etc. Aber aus gesundheitlichen Gründen konnten die Currans damals nicht reisen und mussten alle Konzerte in Europa absagen. Um so schöner, daß es jetzt doch noch mit der Oliver Peel Session klappte!

Arborea waren am Vortag aus Bologna angereist und hatten bei dem australischen Musiker Dave Olliffe (auf dem Foto) geschlafen, der zusammen mit seiner Freundin Sandra und Frédéric D. Oberland heute das Vorprogramm bestritt. Arborea selbst hatten mich diesbezüglich angemailt und gefragt, ob Dave ein paar Lieder vortragen dürfe. Dagegen hatte ich überhaupt nichts einzuwenden, denn ich kannte Dave schon als brillanten Gitarristen von Heligoland (eine australische Band mit Wohnsitz Paris) und Farewell Poetry (eine französiche Post Rock Band).

Und so kam es, daß Dave gegen 20 Uhr 15 den herrlichen Konzertabend eröffnete. Er hatte sich liebenswürdigerweise um das gesamte technische Equipment, auch für Arborea, gekümmert und alle möglichen Steckverbindungen, Pedale, Gitarren und Verstärker mit angeschleppt. So war es möglich, daß wir in einem Wohnzimmer bestmögliche Verhältnisse hatten. Noch nie zuvor war der Sound so hervorragend ausgetüftelt und präzise wie heute!

Schon nach ein paar Takten machte sich eine wundervoll warme und festliche Atmosphäre breit. Dave hat eine traumhaft schöne Stimme, mit einer sanften und tröstlichen Klangfarbe. Frédéric D. Oberland begleitete sie mit seinem sphärischen Gitarrenspiel und benutzte ab und zu auch einen Geigenbogen, um das silberne Wunderding zum Schwingen zu bringen. Bei einigen Liedern beteiligte sich auch Sandra Rossini*, die auf dem Boden kauernd ein Harmonium, ein Akkordeon ähnliches Instrument, bearbeitete. Herrlich, was die drei Sympathen da zauberten! Die Musik war so schön, daß ich mich am liebsten auf den Boden gelegt und mit geschlossenen Augen dazu geschwelgt hätte. Balsam für die geschundene Großstadtseele! Einige unsere Gäste schafften es, auf dem bedrängten Raume komplett abzuschalten und sich der Mystik von Dave, Frédéric und Sandra hinzugeben. Sensationell, daß wir eine solch tolle Vorgruppe einfach so "mitgeliefert" bekamen! Der tolle Videoblogger Renaud von Le Cargo und auch le 7 ième Ciel, eine Gruppe von Leuten, die Konzerte über den Dächern von Paris veranstaltet, waren bereits an den beiden dran, was beweist, daß sie in Insiderkreisen alles andere als auf taube Ohren stoßen. Im Laufe des Jahres 2010 soll es ein erstes Album mit dem Titel Ghosts & Silver Lakes geben, von dem auch die meisten (alle?) Lieder des heutigen Sets stammten.

Gegen 21 Uhr waren dann aber alle Blicke auf Buck und Shanti Curran von Arborea gerichtet. Das Pärchen hatte vorher ausgiebig den Sound ausgetüftelt, alle Steckverbindungen überprüft und die Stimmen warmgesungen. Eigentlich war alles angerichet, um loszulegen. Alle Gäste waren schon mucksmäuschenstill und schauten nach vorne, als Buck plötzlich nach einem Schraubenzieher verlangte. Ich eilte Richtung Flur, wo ein solcher normalerweise zusammen mit dem gesamten Werkzeugkasten hinter einer Tür verstaut ist. Aber da gab es keinen Schraubenzieher. Er war weg! Wo war das verfluchte Ding bloß hin? Ich fragte meine Frau, aber auch die wusste es nicht. Sie fing an, hektisch rumzusuchen, vergeblich! Ob Arborea das Ding unbedingt brauchten? Anscheinend schon! Da bot sich plötzlich unsere Freundin Laurie an, ihren Schraubenzieher zu holen, denn sie wohnt im gleichen Gebäude in der oberen Etage. 5 Minuten später kam sie mit dem Werkzeug wieder und ich überreichte das Teil Buck, der damit ein paar Schrauben am Banjo von Shanti fester zurrte. Musiker sind Pefektionisten, das sollte man wissen...

Nun aber konnten wir endlich starten. Ich stellte die Band kurz unseren Gästen vor, erwähnte, daß es bereits drei Alben von Arborea gibt und das letzte Werk House Of Sticks heißt. Direkte Werbung für einen anschließenden CD-Verkauf war das aber nicht, denn die Amerikaner hatten überhaupt keine Silberlinge dabei. Die CDs hatten sie bei ihrer Tour restlos ausverkauft. Auch nicht weiter schlimm, denn so blieb den Zuhörern mehr Kleingeld für den Hut, den ich immer nach den Konzerten rumgehen lasse.

Das Duo begann sehr leise mit dem Instrumentalstück Leaves Among The Ruins, bevor mit Masters of War zum ersten Mal die Stimmen der beiden zu vernehmen waren. Ein sehr düsteres, bedrohliches Stück, das auch vom Meister des Obskuren Wovenhand hätte stammen können. Bekanntlicherweise ist es aber auf Bob Dylan zurückzuführen. Ausnahmsweise steuerte hier Buck hier den Hautpteil des Gesanges bei. Shanti benügte sich zunächst mit der Rolle der Backgroundsängerin, aber allein das war schon so schön, daß man es kaum beschreiben kann. Masters Of War ging nahtlos über in In My Time Of Dying von Led Zep, bevor es gegen Ende wieder zurückschwenkte und die letzten Strophen von Masters Of War intoniert wurden. Zwei ineinander verschachtelte Coverversionen also, die kaum jemand erkannt hat, auch ich nicht.* Aber das war nicht schlimm, schließlich lernt man ja nie aus. Dann sang Shanti zum ersten Mal ganz alleine. Ihre Stimme war so hell, so klar, so wunderwunderschön! Wie eine Kreuzung aus Mariee Sioux und Marissa Nadler, so in etwa klang sie und wem bekannt ist, wie sehr ich Mariee und Marissa verehre, vermag sich auszumalen, wie mich die Stimme von Shanti traf. In der Boxersprache würde man sagen, daß ich zum ersten Mal angezählt wurde. Und dann berichtete Shanti anschließend auch noch, daß es für sie unglaublich schön sei, ihre Tour auf diese Weise in Paris zu beenden. "It feels the closest to coming home" erklärte sie sichtlich gerührt und ich war unglaublich happy, daß sich die beiden bei uns so wohl fühlten. "We come back!" beendete sie ihre Ausführungen mit einem entschlossenen Unterton und hinterließ erfreute Gesichter im Publikum.

Bei Dance, Sing, Fight setzte Shanti dann zum ersten Mal ihr Banjomer wie eine Flöte ein, was mich ungemein verblüffte, denn ich dachte bisher, daß man es nur ähnlich wie ein Banjo benutzen kann. Dance, Sing, Fight ist sicherlich einer der stärksten Tracks auf dem Album House Of Sticks und auch hier gibt es eine kleine eingebettete Coverversion und zwar Beds Are Burning von Midnight Oil. Danach war wieder Zeit für ein Schwätzchen. Shanti berichtete, daß sie gestern nacht nach ihrer Ankunft noch den Eiffelturm angesehen hätten und daß sie sich damit einen alten Teenagertraum erfüllt hatte. Buck wußte hinzuzufügen, daß ihn das ganze Szenario unter dem gigantischen Monstrum aus Stahl an den Film Aliens erinnere. Aber Shanti hatte das Wort und erzählte weiter, daß sie heute auch in den Katakomben gewesen seien und sie einen der besten Tage ihres Lebens verbracht hatte. "Thanks for sharing one of the best days in my life" sagte sie dem Auditorium zugewandt, bevor Buck den nächsten Song ankündigte. Blue Crystal Fire sei ein Song von Robbie Basho, der ihn dermaßen fasziniere, daß er eine Tribute CD für diesen Künstler herausgeben wird. Unter anderem wird auf dem im April erhältlichen Release ein Stück von Meg Baird enthalten sein, aber auch eines von dem deutschen Gitarristen Steffen Basho-Junghans.

Blue Crystal Fire war wirklich traumhaft und ich frage mich, ob es nicht vielleicht schöner ist, als das Original, das ich zugegebenermaßen gar nicht kenne. Die bildschönen Stücke Wayfaring Summer (Titeltrack eines ihrer Alben) und Red Bird folgten, bevor Shanti ein halb- instrumentales Solo spielte, daß auf einem Gedicht von Walt Whitman basierte. "It's about walking on the battlefields in the civil war and seeing all the bodies when the moon is coming off. It's bitter sweet", die Erläuterung hierzu.

Nach dem kontemplativen und träumerischen Son Of The Moon, Daughter Of The Sun, zu dem Buck ein paar herrliche kleine Riffs beisteuerte, kam einer der allerbesten Songs des ganzen Abends. Arms & Horses brachte alle Qualitäten des Duos zur vollen Blüte. Sie sang wie eine gute Fee und ihr Ehemann zauberte förmlich an seiner Gitarre. Ein wundervolles Riff nach dem anderen ließ er erklingen und manchmal verzerrte er seine Elektrische so dermaßen, daß es zum ersten Mal bedrohlich laut in unserem Wohnzimmer wurde. Ich durchlitt ein Wechselbad der Gefühle, denn einerseits war es sensationell diese lauten, knisternden Töne zu hören, andererseits dachte ich wirklich an unsere Nachbarn, die mit Sicherheit die hochgezogene Gitarrenwand auch in leicht abgemilderter Form abbekommen hatten. Aber Buck ließ jetzt nicht mehr locker. Bei Forwarned wurde er noch lauter und verzerrte seine Elektrische wie so ein Weltmeister. Ein unheimlich spannungsgeladener und intensiver Wüstensound erfüllte den Raum und die heulende Gitarre von Buck und die esoterische Stimme von Shanti lieferten sich ein regelrechtes Duell. Mir stockte der Atem, die Lautstärke war inzwischen wirklich heftig! Als würden Slint in unserem Wohnzimmer spielen und eine Frauenstimme, die Glas zum Bersten bringen kann, singt drüber. Mein Körper sendete Adrenalin in Massen aus, auch weil meine Frau mir vernichtende Blicke zuwarf. "Leiser, verflucht noch mal!", bedeutet sie mir, aber ich konnte jetzt unmöglich den Elan der Künstler stoppen, die sich in einen kleinen Rausch gespielt hatten. Wie unter Hypnose spulten sie das Stück ab und ich fühlte mich als stecke mein Finger in der Steckdose. Das Lied wollte gar nicht mehr enden. Dann irgendwann ließen Arborea es verhallen. Das Tim Buckley Cover Phantasmagoria In Two widmeten sie mir (ich fühlte mich enorm geehrt!), weil ich es auf CD hatte abspielen lassen, als Shanti und Buck bei uns um 18 Uhr 30 eingetroffen waren.

Dann waren sie eigentlich mit dem Programm durch, aber der Applaus war so groß, daß sie noch eine Zugabe spendierten. Ich bat inständig um ein leises Lied ("please play a calm song!"), aber die Dramaturgie sah es vor, daß mit Leidenschaft und Lautstärke abgeschlossen wurde. Awakening trug seinen Titel nicht zu Unrecht, denn falls die Nachbarn um 22 Uhr 15 schon geschlafen hatten, wurden sie nun endgültig geweckt! Meine Frau behauptete gar, daß die Dezibelzahl bei 105 (!) gelegen habe, was sie mittels ihres Iphones festgestellt hatte.

Sei's drum, bisher hat sich bei mir noch kein Nachbar beschwert und ich hoffe, das bleibt auch so. Ich weiß, daß wir ihnen viel zumuten, aber wie kann man eine Session mit einer famosen Band wie Arborea, auch wenn sie unter der Woche stattfindet, ausschlagen?

Der Wahnsinn, der helle Wahnsinn, das alles!







Setlist Arborea, Oliver Peel Session # 17:

01:Leaves Among The Ruins
02: Masters Of War (Bob Dylan)
03: In My Time Of Dying (Led Zeppelin)
04: Song For O Bol
05: Dance, Sing, Fight
06: Blue Crystal Fire (Robbie Basho)
07: Wayfaring Summer
08: Red Bird
09: Look Down Fairmoon
10: Son Of The Moon, Daughter Of The Sun
11: Arms & Horses
12: Forewarned
13: Phantasmagoria In Two (Tim Buckley)

14: Awakening

Setlist Dave Oliffe & Frédéric D. Oberland, Oliver Peel Session # 17 (thanks, Dave!):

01: White Cloud Mountain
02: Jacob's Well
03: Riverdowns
04: Tinman
05: The New Frontier

Links:

- Tolle Session von Le Cargo. Dave Olliffe & Frédéric D. Oberland spielen auf Bahngleisen. Nicht nachmachen!
-
Seadrift von Arborea unter dem gedämpften Licht von Gaslampen. Ungemein atmosphärisch!

Aus unserem Archiv:

-
Arborea, Paris, 21.01.2010

* auch Sängerin von Drou & The Candy Kid

* Buck hat mich darauf hingewiesen, daß seine Version nicht von Led Zeppelin beeinflusst ist. Er schreibt: "The traditional tune 'In My Time of Dyin' that was placed in the middle of Masters of War. I was not actually influenced by Zepplin. My version is a variation on the version of 'In My Time of Dyin' from Bob Dylan's 1962 first record."



1 Kommentare :

E. hat gesagt…

es lebe die pariser bohème! toller bericht mit überaus sympathischen protagonisten. nett das intermezzo mit deiner frau bezüglich der lautstärke!

 

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