Donnerstag, 30. April 2009

Anna Ternheim, Paris, 29.04.09


Konzert: Anna Ternheim (The Tiny)

Ort: Café de la Danse
Datum: 29.04.2009
Zuschauer: brechend volle Hütte. Circa 500
Konzertdauer: ca. 85 Minuten




Das Pariser Café de la Danse ist schon dem Namen nach ein Tanzcafé. Leider ist die Bezeichnung aber ein ähnlicher Etikettenschwindel wie seinerzeit der Begriff "Deutsche Demokratische Republik." Im Café de la Danse wird nämlich selten getanzt, sondern in der Regel vielmehr bräsig auf Bänken in einem hörsaalähnlichen Raum gesessen. Zwischen Bühne und Sitzrängen tut sich ein Leerraum auf, der, wenn es sehr voll ist, von Zuschauern bevölkert wird, die kein Plätzchen mehr ergattern konnten, oder grundsätzlich lieber stehen wollen.

So war es auch bei der (nervigen) Vorgruppe des Abends, The Tiny, wie die Headlinerin Anna Ternheim aus Schweden stammend. Ein massiv überfüllter Saal, in dem es jetzt schon unmöglich war, frei zu zirkulieren. Ich schaute mir von der Seite die Letzten zwei Stücke der Pianistin Ellekari Larsson und des Cellisten Leo Svensson an und gesellte mich dann zu Freunden, die vorne am Bühnenrand standen. Wir unterhielten uns angeregt und ich stellte überrascht fest, daß meinen beiden Kumpels jegliche Folkkultur fehlte. Sandy Denny? Fairport Convention? Vashti Bunyan? Judee Sill? All diese schillernden Namen klassischer Folksängerinnen (Sandy Denny und Judee Sill sind sehr jung tragisch verstorben) waren den beiden völlig unbekannt, obwohl sie sich regelmäßig Konzerte von zeitgenössischen Folkeusen anschauen. Ich traute mich schon gar nicht mehr zu fragen, wie es denn mit Joni Mitchell aussieht. Außerdem: Sein erst in den letzten 5-7 Jahren erworbende Wissen heraushängen zu lassen schien mir deplatziert und versnobt. Dennoch wunderte ich mich, daß die erwähnten Künstlerinnen nicht geläufig waren, ich hatte es schließlich nicht mit Gelegenheitskonzertgängern zu tun. Und Joni Mitchell wird nicht selten im Zusammenhang mit Anna Ternheim genannt, ob berechtigterweise oder nicht.

Aber bleiben wir doch noch ein wenig bei dem Thema. Macht Anna Ternheim wirklich traditionellen Folk, oder eher Pop bzw. Jazz für den Coffeshop um die Ecke? Nun, wenn sie wie bei den ersten beiden Alben Naked Versions ihrer Songs beifügt, dann ist das Ganze schon sehr reduziert und althergebracht. Auf dem dritten Album Leaving On A Monday gibt es aber keine Naked Versions mehr, sondern lediglich Cover von Sinatra, falls man denn die Special Edition gekauft hat. Sagen wir es ganz deutlich: Von einer folkigen Singer/Songwriterin ist Anna Ternheim weiter entfernt denn je! Zumal ihr Songwriting teilweise wirklich ziemlich flach und banal ist. Das früh gespielte What Have I Done ist dafür ein gutes Beispiel. "I hope you feel the way I do I hope you give yourself up to." Meine Güte, was für ein mainstreamiger Bubblegumrefrain! Ich war zugegebenerweise recht entsezt und konnte Christophs Lobhudelungen der letzten Wochen nicht wirklich nachvollziehen. Der Opener Terrified war noch ok, aber auch kein Glanzlicht der Dichtkunst. Und es gab noch ein schlimmeres Problem, als die recht seichte Musik, die auf der Bühne gespielt wurde. Die Besucher in dem oben beschriebenen Zwischenraum zwischen Bühne und Sitzrängen, kamen auf die seltsame Idee, sich mit dem Beginn der ersten Takte hinzusetzen. Warum? Ich konnte das gar nicht nachvollziehen, war aber gezwungen, dem Herdentrieb zu folgen und hockte in einer unmöglichen Stellung qualvolle fünf Minuten lang. Ich konnte mich noch nicht einmal wie die anderen Gäste auf meinen Hosenboden pflanzen, da hinter mir gleich jemand saß. Ich fühlte, wie sich ein Krampf in meine Wade hineinzog und wartete sehnsüchtig darauf, daß Terrified endlich ein Ende nimmt. Ich wollte aufstehen und mich an die Seite begeben. Das ging aber nicht, weil der ganze Weg von sitzenden Zuschauern blockiert war. Eine Sitzblockade im wahrsten Sinne des Wortes! Ich blieb also einfach stehen wo ich war. Ein paar Leute um mich rum taten mir gleich und bedankten sich sogar bei mir für meine Initiative. Hinter mir fingen nun aber Leute an zu murren. Ich bedeute ihnen mit einer energischen Handbewegung aufzustehen, auch weil die Musik durch das wuchtige Schlagzeug absolut tanzbar war. Aber die Sitzblockierer hingen da rum wie eine träge Schafsherde! Es war nichts zu machen, sie standen nicht auf. Mir egal, ich blieb stehen! Die Stimmung im Saale wurde nun aggressiver, ein blonder Kerl hinter mir traktierte mich ständig mit Fußtritten. Erschnaubte wie ein Stier und hatte zudem ein Piercing durch beide Nasenlöcher. Ich mußte meinen Zorn runterschlucken, denn ich war kurz davor, ihm eine in die blöde Fresse zu ballern! Ich bin ein ruhiger Zeitgenosse, aber man soll doch bitte nicht den Pitbull wecken, der in mir schlummert! Der Kerl machte ständig weiter, ich versuchte mich aber auf das Konzert zu konzentrieren. Nun murrten plötzlich während eines Liedes etliche andere Leute. Seltsamerweise entzündete sich der gesamte Zorn der Sitzenden an meiner Person, obwohl inzwischen viele andere Besucher ebenfalls standen. Es herrschten zweigeteilte Verhältnisse. Ganz komische Situation. Ein Mann neben mir, der ebenfalls stand, verteidigte mich nun, indem er den Leuten zurief: "Wir sind hier doch nicht in einer marrokanischen Teestube! Die Verhältnisse wurden tumultartig und Anna mußte sich konzentrieren, um weitzerzumachen. In dieser Phase befand das Konzert kurz vor einer Unterbrechung. Der seltsame Zustand hielt circa. 5 Lieder an, aber dann passierte etwas Unglaubliches: Miss Ternheim wanderte an den Bühnenrand und forderte mit energischen Handbewegungen die Sitzblockierer auf, endlich aufzustehen. Nun erhoben sich plötzlich alle und von da an kam das Konzert in Gange. Als wäre eine Handbremse gelöst worden, klatschten und tanzten, plötzlich alle mit und eine äußerst rockige Version von French Love entfachte fast eine Stimmung wie bei einem Rockkonzert. Zwar gab es mit I'll Follow You Tonight immer wieder ruhigere, reduzierte Stücke, aber die aufgedrehte Stimmung hielt an, bei den tanzbaren Neulingen Damaged Ones und Let It Rain (ein Highlight) war wieder Party angesagt. Anna genoß das in vollen Zügen und war sichtlich aufgepeitscht. Vielleicht lag es an der hochseltsamen Anfangsphase mit den Tumulten, vielleicht aber auch daran, daß dies vorerst das letzte Konzert der Torunee war, fest steht aber, daß die Ternheim Hormon-und Adrenalinausstöße en masse hatte. Sie bewegte sich ungewöhnlich viel und besaß einen enormen Tatendrang. Immer wieder suchte sie den Kontakt zu dem Publikum, gerade in den ersten Reihen. Und dann geschah etwas Unglaubliches. Bei I Say No blinzelte sie mir mit ihren riesigen blauen Augen* bei der Textzeile "But the sadness in your eyes won't go away, it becomes you in a strange kind of way" ( I Say No) zu, weil sie mich offensichtlich erkannt hatte und ich war wie vom Blitz getroffen. Ich fühlte mich als hätte ich 200 000 Volt- Stöße abbekommen und bekam in diesem Moment wirklich sehr traurige Augen, die sich mit salziger Flüssigkeit füllten. In der Aufgewühltheit hatte ich meine Kopfhörerkabel verloren und als sie mir die Frau rechts von mir höflicherweise gab, nahm ich ich sie entgegen ohne sie dabei anzusehen, damit sie nicht mein verheultes Gesicht sah.

Mein emotionaler Notstand hatte Gründe, denn mit Depressionen und Menschen, die einen permanent traurigen Blick in den Augen haben, kenne ich mich leider sehr gut aus. Annas Augen waren in dem Moment auch ganz besonders, es schien als würde sie gleichzeitig weinen und lachen, sie war ebenfalls sehr aufgekratzt, aber zum Glück überwog die Glücklichkeit und Dankbarkeit für den warmherzigen Empfang in Paris, einer Stadt, in der sie breits 6 mal in ihrer Karriere aufgetreten ist. Heute war mit Sicherheit ihr emotionalstes Konzert, aber auch performancetechnisch das Beste, denn sie schien am Ende sämtliche Blockaden gelöst zu haben, die sie vorher ab und zu gebremst hatten. Die Zugabenserie war dann logischerweise ein Triumph, den sie in vollen Zügen auskostete. Mit To Be Gone und My Secret brachte sie zwei balladeske Klassiker, bevor sie zusammen mit Ellekari von den Tiny das wunderbare Summer Rain vortrug. Das My Heart Still Beats For You textlich wieder recht platt geraten war, schmälerte nicht ihren Siegeszug am heutigen Tage. Gerade bei Liveauftritten kommt es auch auf die Persönlichkeit des Musikers und seine Fähigkeit an, einen Draht zum Publikum herzustellen. Das ist Anna Ternheim hervorragend gelungen und ihre Herzlichkeit und Natürlichkeit suchen ohnehin Ihresgleichen. Sie mag zwar nicht die songwriterischen Qualitäten einer Marissa Nadler oder einer Nina Nastasia haben, aber aus den Konzerten geht man regelmäßig beeindruckt heraus!

Bravo, Anna!


P.S.: Wem es in letzter Zeit zu viel Anna Ternheim auf dem Konzerttagebuch gab, dem sei versichert, daß auch anderen Künstlern wieder ausreichend viel Platz eingeräumt werden wird. Aber wir halten nun einmal gerne an Musikern fest, die uns an Herz gewachsen sind...

Setlist Anna Ternheim, Café de la danse, Paris:

01: Terrified
02: What Have I Done
03: Black Sunday Afternoon
04: Girl Laying Down
05: No, I Don't Remember
06: A French Love
07: I'll Follow You Tonight
08: Lover's Dream
09: Damaged Ones
10: Better Be
11: Let It Rain
12: I Say No

13: To Be Gone (solo, akustisch)
14: My Secret

15: Summer Rain (zusammen mit ihrer Freundin von The Tiny)
16: My Heart Still Beats For You


* Wer genau hinschaut wird erkennen, daß ihre Augen gleichzeitig lachen und weinen. Sie war eben unglaublich gerührt...

Pour nos lecteurs français:

Quel beau et merveilleux concert! Comme c'était émouvant! Anna Ternheim et son groupe nous a fait vibrer pendant presque 1 heure et demie de pur bonheur. Un concert fou fou fou d'ailleurs, parce que il y avait des discussions bruyants entre des gens qui voulaient être debout (moi, par exemple, pour le respect des artistes) et d'autres qui voulaient rester assis par terre. Mais heureusement Anna a compris qu'elle joue dans le Café de la Danse (on ne peut pas danser assis!) et elle a fait signe aux gens de se lever. Bravo, Anna! Sûrtout parce qu'il ne s'agissait plus d'un concert folk traditionnel et calme comme auparavant quand Anna jouait tout seul de la guitarre (et du piano parfois). Entouré d'un bon groupe avec entre autre un double bassiste et un mec qui jouait a la scie chantante ,mais sûrtout d'un batteur puissant (non, ce n'était pas Steve Shelley de Sonic Youth comme sur l'album) ça avait beaucoup plus de punch. Parfois c'était presque un concert de rock. C'est drôle, parce que la belle Anna (mon dieu, ces beaux yeux bleus!) m'avait confié dans une interview qu'elle m'avait gentillement accordé pour notre site, qu'en fait chaque folkeuse rêve d'être dans un groupe de rock, un groupe qui déchire et qui fait du bruit...

Mais bon, finalement les morceaux calmes (sûrtout le rappel To be Gone toute seule) restent les plus touchants. À la fin elle m'a donné la chair de poule et quand elle a répeté qu'elle se sentait vraiment très bien ici à Paris et qu'elle remercie le public pour l'acceuil chaleureux, c'était honnête.

Merci Anna, pour ta belle musique, ta générosité, ta gentillesse, ta tendresse, ton beau sourire, ton amour. À bientôt! On t'aime à Paris.


Links:

- aus unserem Archiv:
- Anna Ternheim, Frankfurt, 28.04.09
- Anna Ternheim, Nijmegen, 24.04.09
- Anna Ternheim, Stockholm, 08.12.08
- Anna Ternheim, Paris, 01.10.07
- Anna Ternheim, Köln, 26.09.07
- Anna Ternheim, Heidelberg, 25.09.07
- Anna Ternheim, Paris, 31.05.07
- Anna Ternheim, Köln, 12.03.07
- Anna Ternheim, Paris, 12.12.06

Mehr Fotos von Anna Ternheim, Paris, hier entlang!
- * Livevideo Ideal- Blaue Augen (Anna, was ich dann so fühle ist nicht mehr normal!)




3 Kommentare :

mbfcs2 hat gesagt…

(Désolé je ne parle pas allemand...)

Bonjour,

Excellent concert en effet, excellents musiciens surtout, et excellentes interprétations aussi bien acoustiques que rock.

Je voulais quand même revenir sur les gens qui étaient assis ; pour ma part, j'en faisais partie, et ce n'était pas forcément par choix : j'accompagnais une personne qui a des difficultés à rester debout, mais plus aucune place assise dans les gradins n'était disponible. Rester assis permettait également de ne pas gêner les premiers rangs assis des gradins...

Je préfère, moi aussi, être debout pour un concert, ça permet d'apprécier les musiciens et effectivement les tournures plus enlevées de certaines chansons s'y prêtaient (même si je n'éprouve pas le besoin de danser pour apprécier la musique). Mais je ne pense pas que rester assis soit un manque de respect pour l'artiste : nous allons à son concert, nous achetons ses disques, nous sommes nombreux à être allé la voir à la fin du concert pour la féliciter... Difficile de parler d'un manque de respect.

Dans notre cas, il s'agissait surtout d'arranger le plus de personnes, même si, encore une fois, je conçois qu'il est mieux d'être debout pour apprécier.

Néanmoins, merci pour les belles photos et la review.

Oliver Peel hat gesagt…

Merci pour votre commentaire.

Je comprends très bien vos arguments, sûrtout quand vous dites que vous étiez avec une personne qui a des difficultés à rester debout.

Mais pour moi personellenment c'était aussi très compliqué, parce que je pouvais même pas m'assoir, parce qu'il y avait des gens directement derrière moi. J'étais obligé de rester dans une position immpossible et je frôlait une crampe dasn les mollets pendant le premier morceau. Je voulais me mettre de côté après, mais je ne pouvais pas, parce qu'il y avait des gens partout, il n' y avait pas de chemin.

Donc je crois que c'était difficile pour tout le monde. Il faut dire que la salle était trop pleine (je n'ai jamais vu autant de monde et je viens souvent ici) et qu'elle est assez mal conçue...

À partir du moment où les gens étaient tous debout, le concert à vraimenet déclenché et l'ambiance était là.

Je voyais Anna pour la septième fois, j'ai même fais une interview avec elle et je peux dire qu'elle n'était jamais aussi impressionnante (et j'ai toujours payé ma place d'ailleurs).

Elle était très émue à la fin. Je crois qu'elle sentait que le public l'adore. Elle mérite l'amour du public. Malgré son énorme succés en Suéde elle est toujours aussi, gentille , accessible et modeste qu'avant. Bravo Anna!

mbfcs2 hat gesagt…

Le souci venait pour moi de la configuration de la salle, qui pouvait convenir aux chansons plus douces... Je suis ravi d'avoir pu suivre le concert debout, mais j'étais également gêné pour les personnes qui étaient derrière moi et qui auraient pu ne pas se lever.

Mais bon, au final je crois que personne ne l'a regretté, et en entendant les réactions du public j'ai pu constater qu'elle avait ravi tout le monde.

Mon message était surtout pour assurer que nous n'étions pas forcément resté assis par choix, en fait personne ne savait vraiment quoi faire...

Pour moi c'était le premier concert d'Anna, donc je ne la connais pas aussi bien, mais il me semble qu'elle a réussi à se lâcher au fur et à mesure, notamment quand elle a parlé longuement en Français. Je crois que son bonheur a été partagé par tout le monde !

 

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